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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Mr. Phillips, den Lehrer, der sich freiwillig gemeldet hat, um gegen die Teutonen zu kämpfen. Anfangs hielten alle es für einen Witz, da der Herr fast dreißig ist, aber er kam gestern nachmittag schon in Uniform ins Haus seiner Mutter in Peoria. Katrina behauptet, er habe recht stattlich ausgesehen, aber Gerüchten zufolge mußte Mr. Phillips die Stadt ohnehin verlassen, da man im Begriff stand, ihm die Kündigung auszusprechen. Seit die Eltern des kleinen Catton an den Schulrat geschrieben und sich über Mr. Phillips übertriebene Anwendung von Gewalt im Klassenzimmer beschwert haben - Tommy Catton mußte mehrere Tage ins Krankenhaus von Oak Hill, aber Mr. P. behauptete, der Junge wäre die Treppe hinuntergestürzt, nachdem er das Klassenzimmer bereits verlassen hatte-, seitdem haben sich auch andere Eltern beschwert.
    Nun, welche Gründe ihn auch immer bewogen haben, er hat eine ehrenhafte Entscheidung getroffen. Ryan sagt, er würde auf der Stelle gehen, wenn da nicht John und Ka-therine und Ryan jr. wären.
    Und am 9. November 1917:
    Mr. Phillips hat heute vorbeigeschaut. Ich kann nicht schreiben, was sich zugetragen hat, aber ich werde auf ewig dankbar sein, daß der Eismann nach ein paar Minuten nach Eintreffen des Lehrers gekommen ist. Andernfalls ...
    Er besteht darauf, daß er mich wieder besuchen
    möchte. Der Mann ist ein Schuft, er anerkennt weder die Gültigkeit meines Ehegelübdes noch die heilige Verpflichtung als Mutter meiner drei Kinder. Alle reden davon, wie stattlich er in seiner Uniform aussieht, aber ich fand ihn erbärmlich - ein Kind in einem zu großen Kostüm. Ich hoffe, er kommt nie wieder.
    Und letztmals wurde er am 27. April des Jahres 1918 erwähnt:
    Der größte Teil der Stadt hat heute am Begräbnis von Mr. William Campbell Phillips teilgenommen. Ich konnte wegen meiner Kopfschmerzen nicht teilnehmen. Ryan sagt, die Armee wollte ihn zusammen mit den anderen Männern, die in der Schlacht gefallen sind, auf einem amerikanischen Friedhof in Frankreich begraben, aber seine Mutter hätte darauf bestanden, daß der Leichnam nach Hause gebracht wurde.
    Seinen letzten Brief an mich erhielt ich erst, als wir schon von seinem Tod erfahren hatten. Ich habe, wohl aus Sentimentalität, nehme ich an, den Fehler gemacht und ihn gelesen. Er hatte ihn während seiner Genesung in einem französischen Lazarett geschrieben, ohne zu wissen, daß die Grippe vollenden würde, was die Kugeln der Deutschen nicht geschafft hatten. In dem Brief schrieb er, seine Entschlossenheit habe sich in den Schützengräben gefestigt, nichts könne ihn daran hindern, mich zu beanspruchen. Das war sein Ausdruck: >beanspruchen<. Aber etwas hat ihn gehindert.
    Meine Kopfschmerzen sind heute nachmittag sehr schlimm. Ich muß mich ausruhen. Ich werde diesen traurigen, besessenen Mann nie wieder erwähnen.
    Großvaters Grab lag im vorderen Teil des Friedhofs Cal-vary, links vom Fußgängertor und etwa drei Reihen weiter hinten. Alle O'Rourkes und Reillys lagen dort, und nördlich davon befand sich ein noch freier Platz, wo Mikes Eltern, er selbst und seine Schwestern dereinst liegen würden.
    Sie legten die Blumen ab und sprachen ihre üblichen stummen Gebete. Während sich die anderen anschließend damit beschäftigten, Unkraut zu zupfen und das Areal zu säubern, schritt Mike rasch die Reihen entlang.
    Er mußte nicht alle Grabsteine ansehen; viele kannte er, aber die größte Hilfe waren die kleinen amerikanischen Flaggen, welche die Pfadfinder am Memorial Day angebracht hatten. Diese waren inzwischen verblichen, die Farben von schweren Regenfällen und grellem Sonnenschein ausgebleicht, aber die meisten Flaggen waren noch vorhanden und kennzeichneten die Gräber der Veteranen. Es waren viele Veteranen.
    Phillips lag weit hinten auf der anderen Seite des Friedhofs. Die Grabinschrift lautete: WILLIAM CAMPBELL PHILLIPS, 9. AUGUST 1888 - 3. MÄRZ 1918. ER STARB, DAMIT DIE DEMOKRATIE LEBEN KONNTE.
    Der Boden über dem Grab war frisch aufgeworfen, so als hätte jemand kürzlich hier gegraben und die Erde achtlos wieder aufgeschüttet. In der Nähe befanden sich mehrere kreisförmige Vertiefungen, manche mit einem Durchmesser von fast vierzig Zentimetern, wo die konkave Erde eingesunken zu sein schien.
    Mikes Eltern riefen ihm vom Rasen des Parkstreifens hinter dem schwarzen Zaun. Er rannte zu ihnen.
    Pater C. freute sich, ihn zu sehen. »Rusty kommt mit dem Lateinischen nicht einmal dann zurecht, wenn er es abliest«, sagte der

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