Sommer der Nacht
gemeinsam auf Zehenspitzen den Flur entlang und stießen die dunkle Mahagonitür so behutsam sie konnten auf. Sie quietschte nicht.
Der Geruch wallte aus dem Zimmer, bevor Mike in dem Schwall überhitzter Luft einen Schritt rückwärts stolperte. Der Geruch war wie der Gestank des Abdeckereilasters und der aus den Tunneln, nur schlimmer, und er ritt auf den Wellen heißer, stickiger Luft in dem abgedunkelten Zimmer. Mike hielt die Hand vor Mund und Nase.
»Wir lassen die Fenster geschlossen«, sagte Mrs. McCafferty entschuldigend. »Er hat die beiden letzten Nächte so schlimmen Schüttelfrost gehabt.«
»Der Geruch...«, brachte Mike heraus, dem fast übel wurde.
Die Haushälterin sah ihn stirnrunzelnd an. »Du meinst die Medizin? Ich wechsle die Bettwäsche jeden Tag... Macht dir das bißchen Medizingeruch so zu schaffen?«
Medizingeruch? Mike fand, es war nur ein Medizingeruch, wenn man Medizin aus toten und verwesenden Leichen machte. Es war ein Medizingeruch, wenn man den Kupfergeruch von Blut und den Gestank von wochenalter Fäulnis als Medizin betrachtete. Er sah Mrs. McCafferty an. Sie konnte es eindeutig nicht riechen. Bilde ich es mir nur ein? Mike kam näher, ohne die Hand vom Mund zu nehmen, blinzelte in die Dunkelheit und rechnete damit, einen verwesenden Leichnam auf dem Bett zu sehen.
Pater C. sah schlimm aus, aber er war kein verwesender Leichnam. Noch nicht. Doch der junge Pater war eindeutig gealtert, erschreckend gealtert: Die Augen waren geschlossen, aber in blauschwarze Höhlen gesunken, die Lippen weiß und rissig, als wäre er tagelang in der Wüste gewesen, seine Haut leuchtete - nicht der gesunde Glanz eines Sonnenbrands, sondern das innere radioaktive Strahlen intensivsten Fiebers-, sein Haar war glanzlos und strähnig, die Hände wie Tierkrallen auf der Brust gekrümmt. Der Mund von Pater C. stand weit offen, ein dünner Speichelfaden rann auf den Pyjamakragen, der Atem rasselte ihm in der Brust wie Geröll. Im Augenblick sah er nicht gerade wie ein Priester aus.
»Genug«, flüsterte Mrs. McCafferty und schob Mike zur Trepp e .
Es war wahrhaftig genug. Mike fuhr mit dem Rad so schnell zu Mrs. Moon, daß ihm der Wind Tränen in die Augen trieb.
Sie war tot.
Er hatte es sich schon gedacht, als er ans Fliegengitter geklopft und keine Antwort bekommen hatte. Er hatte es gewußt, als er in den kleinen, dunklen Salon gekommen und nicht augenblicklich von ihren Katzen umringt worden war.
Er wußte, daß Miß Moon, die Bibliothekarin, normalerweise zu Fuß von ihrem >Apartment< - eigentlich einem Stockwerk in einem alten Mietshaus in der Broad Street, das sie mit Mrs. Groissant teilte, der Lehrerin der vierten Klasse - herüberkam, um gegen acht mit ihrer Mutter zu frühstücken. Es war noch nicht ganz halb acht.
Mike ging in dem kleinen Haus von einem Zimmer zum nächsten und spürte dieselbe Übelkeit wie in der Pfarrei. Hör auf, so ein Schwarzseher zu sein. Sie ist früh spazierengegangen. Und die Katzen mit ihr. Aber er wußte, daß die Katzen sich um nichts auf der Welt aus dem kleinen weißen Holzhaus bequemt hätten. Na gut, die Katzen sind in der Nacht weggelaufen, und sie ist nach ihnen suchen gegangen. Oder vielleicht hat Miß Moon Mrs. M. in den letzten Tagen endlich ins Altersheim in Oak Hill gebracht. Es war auch höchste Zeit. Das war die logische Erklärung. Mike wußte, daß es nicht die richtige war.
Er fand sie auf dem winzigen Absatz am oberen Ende der Treppe. Der erste Stock war eng - gerade groß genug für Mrs. Moons Schlafzimmer und ein winziges Bad -, der Treppenabsatz kaum groß genug für die kleine Leiche.
Mike kauerte auf der obersten Stufe; sein Herz pochte so heftig, daß es ihn um ein Haar aus dem Gleichgewicht brachte und er fast rückwärts die Treppe hinuntergepurzelt wäre. Abgesehen von der Beerdigung seines Großvaters väterlicherseits vor ein paar Jahren hatte er noch nie eine Leiche gesehen - wenn man den Soldaten nicht mitzählte. Diese betrachtete Mike nun mit einer schrecklichen Mischung aus Traurigkeit, Entsetzen und Neugier.
Sie war schon so lange tot, daß ihre Hände und Arme steif geworden waren: Die linke hatte sie um das Geländer gekrallt, als wäre sie gestürzt und im Begriff gewesen, sich wieder hochzuziehen, die rechte Hand stand vertikal von dem grünen Teppich ab, die Finger waren gekrümmt, als hätten sie in die Luft gekrallt... oder etwas Gräßliches abwehren wollen.
Mrs. Moons Augen standen offen... Mike wurde klar,
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