Sommer der Nacht
segnete die alte Dame und machte das Zeichen des Kreuzes über ihr. Er wußte, Mrs. Moon war nicht katholisch, aber hätte er den Wortlaut gekannt, hätte Mike in diesem Augenblick die Letzte Ölung vorgenommen.
Statt dessen sprach er ein kurzes, stummes Gebet und begab sich danach zu der angelehnten Schlafzimmn tül Die Tür stand gerade so weit offen, daß er den Kopf hineinstecken konnte.
Da waren die Katzen! Einige der zerfleischten und zerfetzten Kadaver lagen auf dem ordentlich gemachten Bett selbst; drei waren auf Bettpfosten aufgespießt; die Köpfe von einigen weiteren Katzen bildeten eine Reihe auf der Kommode von Mrs. Moon neben ihren Pinseln und Par-fumflaschen und Lotions. Eine Katze, eine lohfarbene, die Mrs. Moons Liebling gewesen war, wie Mike wußte, hing an der Perlenkordel des Deckenlichts; der Kater hatte ein blaues und ein gelbes Auge; sie sahen Mike abwechselnd an, wenn der überraschend lange Körper eine seiner langsamen, stummen Drehungen vollendet hatte.
Mike rannte die Treppe hinunter und war fast an der Hintertür, als er stehenblieb und nicht auf den brennenden Drang achtete, sich zu übergeben. Ich kann Miß Moon nicht hereinkommen und sie ihre Mutter so finden lassen. Ihm blieben nur Minuten, möglicherweise weniger.
Bei dem antiken Stück an der Salonwand handelte es sich um eine Art Schreibtisch. Lavendelfarbenes Briefpapier lag bereit; Mike hob einen altmodischen Federhalter, tauchte ihn ins Tintenfaß und schrieb mit riesigen Großbuchstaben: GEHEN SIE NICHT REIN! RUFEN SIE DIE POLIZEI!
Er wußte nicht, ob er die Fingerabdrücke von Federhalter und Tintenfaß abwischen konnte, daher steckte er sie in die Tasche, klemmte den Zettel zwischen Türrahmen und Fliegengitter, wo jeder ihn als erstes bemerken mußte, machte die Tür mit dem um die Hand gewickelten T-Shirt auf, wischte den Außenknopf ab, als er die Tür geschlossen hatte, sprang über Azaleen und Iris, hüpfte über das kleinere von zwei Vogelbädern und eine niedrige Hecke, kam in die Gasse hinter dem Haus der Somersets, rannte so schnell er konnte nach Hause und dankte Gott für das dichte Laub, das die Gasse in einen Tunnel verwandelte.
Er erklomm die höchste Ebene des Baumhauses über der Depot Street, wo er im Laub verborgen saß und schlotterte; und dann stach ihm die Spitze des Federhalters in den Schenkel -Gott sei Dank hatte er immerhin soviel Verstand gehabt, ihn mit der Feder nach außen einzustecken, sonst hätte er jetzt einen riesigen Tintenfleck auf den Jeans; er konnte schon die Schlagzeile HIRNLOSER MÖRDER VERRÄT SICH DURCH TINTENFLECK vor sich sehen - daher steckte Mike Tintenfaß und Federhalter in einen natürlichen Riß im Holz und bedeckte sie mit Blättern, die er von den Zweigen abriß.
Es war möglich, daß sie im Herbst jemand finden würde, wenn die Blätter abfielen, aber Mike überlegte sich, daß er sich darüber im Herbst den Kopf zerbrechen würde. Wenn einer von uns so lange lebt.
Er lehnte mit dem Rücken am breiten Baumstamm, hörte das gelegentliche Dröhnen des Verkehrs zehn Meter tiefer und das leise Kratzen seiner Schwester Kathleen, die alleine Seilhüpfen spielte, und er dachte nach.
Zuerst versuchte Mike, alles zu überdenken, um die schrecklichen Bilder loszuwerden, die er an diesem heißen und wunderschönen Morgen schon gesehen hatte, aber dann wurde ihm klar, daß er sie niemals loswerden würde - Pater C.'s fiebriges Atmen, Mrs. Moons klaffender Mund, der nicht mehr atmete -, daher setzte er seine Angst und den Adrenalinstoß in Arbeit um und versuchte, sich einen Plan zurechtzulegen.
Mike saß fast drei Stunden im Baumhaus. Anfangs hörte er Autos weiter unten am Block halten, gefolgt von einer Sirene - eine Seltenheit in Elm Haven -, dann die murmelnden Stimmen von Erwachsenen einen Block entfernt, und da wußte er, die Behörden kümmerten sich um Mrs. M. Aber da war Mike schon in tiefes Nachdenken versunken und drehte seinen Plan hin und her wie einen Baseball, der nach Kratzern und schlecht vernähten Nähten untersucht wurde.
Als Mike wieder vom Baumhaus herunterkam, war es später Vormittag. Seine Beine waren verkrampft, weil er so lange auf der kleinen Plattform gesessen hatte, Harz klebte an Jeans und dem Rücken des T-Shirts, aber er merkte es nicht. Er nahm sein Rad und fuhr zu Dale.
Beide Jungs rissen vor Aufregung und Sorge die Augen auf, als sie vom Tod von Mrs. Moon erfuhren. Hätte er sie lediglich tot gefunden, und die Katzen am Leben, hätte
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