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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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sollte. Nur die buchstäbliche Präsenz der Achtunddreißiger, die auf seinen 57er Chevy gerichtet war, hielt ihn am Ball, und die wurde zunehmend unsicherer.
    »Geh rein!« sagte Harlen mit verkniffenen Lippen. »Aber bleib nicht bis zur Teestunde oder zum Dinner. Bring in Erfahrung, was du wissen mußt, und sieh zu, daß du schleunigst wieder rauskommst.«
    Dale hatte genickt und war aus dem Auto geklettert. Congden drohte, er würde reingehen und die Polizei rufen, aber Harlen sagte: »Geh nur! Ich hab' noch achtzehn Kugeln in der Tasche. Ich kann also dieses Ding hier in einen Schweizerkäse verwandeln, bis die Bullen hier sind. Und dann werde ich Ihnen erzählen, daß du uns entführt hast. Dale und ich sind noch nicht in der Jugendstrafanstalt gewesen wie jemand, den ich gut kenne ...«
    Congden hatte sich noch eine Zigarette angezündet, sich an den Türrahmen gelehnt und Harlen angesehen, als würde er sich gerade überlegen, wie genau er Rache nehmen würde. »Laß knacken«, hatte Harlen unnötigerweise hinzugefügt.
    Dale folgte dem Mann, den er für einen Butler hielt, durch eine Anzahl Räume, von denen jeder so groß war wie das gesamte Erdgeschoß im Haus der Stewarts. Dann machte der Typ im dunklen Anzug eine riesige Tür auf und winkte Dale in ein Gemach, bei dem es sich um die Bibliothek oder ein Studierzimmer der Villa handeln mußte: Wände mit Mahagonipaneelen und endlosen eingebauten Regalen ragten dreieinhalb Meter zu einer Zwischengeschoßgalerie empor, Messinggeländer, dann noch mehr Mahagoni und noch mehr Bücherregale bis zu einer Decke mit naturbelassenen Holzbalken. An den unteren Regalen und auf der Galerie selbst befanden sich Schiebeleitern. Die Ostseite des Raums, etwa dreißig Schritte von der Stelle entfernt, wo Dale eingetreten war, wurde von einer gigantischen Fensterfront eingenommen, durch die Sonnenlicht auf den großen Schreibtisch fiel, wo Mr. Ashley-Montague saß. Der Millionär sah hinter dem Schreibtisch ziemlich winzig aus, und die schmalen Schultern des Mannes, der graue Anzug, die Brille und die Krawatte machten ihn auch nicht größer.
    Er stand nicht auf, als Dale näher kam. »Was willst du?«
    Dale holte tief Luft. Jetzt, wo er hier drinnen war, verspürte er keine Angst mehr, und nur ein wenig Nervosität. »Ich habe Ihnen gesagt, was ich will. Etwas hat meinen Freund getötet, und ich glaube, es hat etwas mit der Glocke zu tun, die Ihr Großvater für die Schule gekauft hat.«
    »Das ist Unsinn«, sagte Mr. Ashley-Montague heftig. »Diese Glocke war bloß ein Kuriosum - ein Stück Plunder, das man meinem Großvater als etwas von historischer Bedeutung aufgeschwätzt hat. Und ich habe einem deiner kleinen Freunde schon gesagt, daß die Glocke vor über vierzig Jahren zerstört worden ist.«
    Dale schüttelte den Kopf. »Das wissen wir besser«, sagte er, obwohl er gar nichts wußte. »Sie ist noch da. Sie beeinflußt die Menschen immer noch so, wie sie die Borgias beeinflußt hat. Und dieser >kleine Freund<, von dem Sie sprechen, war Duane McBride, und der ist jetzt tot. Wie die Kinder, die vor sechzig Jahren getötet worden sind. Wie der Neger, den Ihr Großvater auch mit aufgehängt hat.«
    Dale hörte seine eigene Stimme kräftig, abgehackt, überzeugt und so fern wie die Tonspur eines Films. Ein Teil seines Verstandes genoß das Panorama vor dem Fenster: Der Illinois River glitzerte breit und grau zwischen bewaldeten Klippen, weiter unten Eisenbahnschienen, ein Stück des Highway 29, der nach Süden Richtung Peoria verlief.
    »Davon weiß ich nichts«, sagte Dennis Ashley-Montague und rückte Ordner auf seinem Schreibtisch zurecht. »Der Unfall deines Freundes tut mir leid. Ich habe natürlich in der Zeitung davon gelesen.«
    »Es war kein Unfall«, sagte Dale. »Ein paar Typen waren zu lange bei dieser Glocke und haben ihn umgebracht. Und es sind noch andere Wesen im Spiel ... Wesen, die nachts herauskommen... «
    Der magere Mann stand hinter dem Schreibtisch auf. Er hatte eine runde Hornbrille auf, die Dale an einen Stummfilmkomiker erinnerte. Einen Typen, der dauernd von Wolkenkratzern herunterhing.
    »Was für Wesen?« Mr. Ashley-Montagues Stimme war nur noch ein Flüstern. Sie schien in dem großen Zimmer unterzugehen.
    Dale zuckte die Achseln. Er wußte, er sollte nicht soviel preisgeben, aber er wußte keine andere Möglichkeit, diesem Mann zu beweisen, daß er tatsächlich wußte, was hier vor sich ging. In diesem Augenblick stellte sich Dale vor, wie

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