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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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und Dale eilte an ihm vorbei, drehte sich so, damit er dem Mann die Vorderseite zukehrte, hielt mit einer Hand das Geschichtsbuch fest und tastete mit der anderen nach dem Türknauf. Die Schritte des Butlers hallten auf dem Kachelboden.
    Dale hätte hinausschlüpfen können, aber was er auf dem Bildschirm sah, fesselte ihn ebenso wie Mr. Ashley-Montague. David Brunkley sagte mit seiner seltsam abgehackten Stimme: »Und daher haben die Demokraten beschlossen ... uns in diesem Jahr... das sicherlich umfangreichste Gesetzentwurfpaket... der Geschichte... der demokratischen Partei zu geben... meinen Sie nicht auch... Chet?«
    Chet Huntleys Trübsinnsmiene füllte den kleinen Schwarzweißbildschirm aus. »Das kann man ohne jeden Zweifel sagen, David. Aber das Interessante bei diesem Ringkampf ist...«
    Aber nicht die Worte des Nachrichtensprechers hatten Dales Aufmerksamkeit geweckt, auch nicht die Menge, die die Kamera immer wieder zeigte, sondern das Gesicht des Mannes auf den Hunderten von Plakaten, die über der Menschenmenge wogten und hüpften wie Treibgut auf einem Meer der Politik. Auf den Plakaten stand ALL THE WAY WITH TFK oder nur KENNEDY IS '60. Das Plakat zeigte das Bild eines hübschen Mannes mit blendend weißen Zähnen und einem dichten Haarschopf.
    Mr. Ashley-Montague schüttelte den Kopf und gab ein Schnauben von sich, als würde er etwas oder jemanden sehen, dem seine tiefste Verachtung galt. Der Butler hatte sich neben seinen Herrn gestellt, als der Millionär die Aufmerksamkeit wieder auf den Jungen richtete. »Ich hoffe, du hast keine Fragen mehr«, sagte er, als Dale zur Tür hinausging und auf der breiten Stufe stand. Jim Harlen brüllte etwas vom Rücksitz des Autos, das dreißig Schritte entfernt auf der breiten Einfahrt parkte.
    »Nur noch eine«, sagte Dale, der fast die Treppe hinuntergefallen wäre, ins Sonnenlicht blinzelte und die Unterhaltung als Grund vorgab, sich rückwärts von den beiden Männern zu entfernen. »Was wird am Samstag bei der Gratisvorstellung gezeigt?«
    Mr. Ashley-Montague verdrehte die Augen, sah aber seinen Butler an.
    »Ich glaube, ein Film mit Vincent Price, Sir«, sagte der Mann. »Ein Film mit dem Titel Die Verfluchten.«
    »Toll«, rief Dale. Er war inzwischen fast bis zu dem schwarzen Chevy zurückgewichen. »Nochmals danke!« rief er, während Har-len die Tür hinter ihm aufmachte und er hineinsprang. »Los!« sagte er zu Congden.
    Der Teenager schnaubte, schnippte seine Zigarette auf den gepflegten Rasen, trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch und schlitterte um die langgezogene Kurve der Einfahrt. Er hatte schon fünfzig Meilen drauf, als sie sich dem massiven Tor näherten.
    Das schwarze schmiedeeiserne Portal schwang langsam vor ihnen auf.
    Mike wollte nicht mehr da unten bleiben. Das Halbdunkel unter dem Pavillon, der Geruch von Erde und der durchdringende Geruch von Mink selbst, selbst das wandernde diamantförmige Muster auf dem dunklen Boden - das alles wirkte zusammen und erweckte ein gräßliches Gefühl der Klaustrophobie und Hoffnungslosigkeit in Mike, als würden er und der alte Trunkenbold gemeinsam in einem geräumigen Sarg liegen und nur darauf warten, daß die Männer mit den Spaten kamen. Aber Mink war weder mit seiner neuen Flasche fertig, die er unter Zeitungen gefunden hatte, noch mit seiner Geschichte.
    »Das wäre das Ende gewesen«, fuhr Mink fort, »das Aufhängen von dem Nigger, und alles, aber es stellte sich heraus, daß nix so war, wie es schien.« Er trank einen großen Schluck aus seiner Weinflasche, hustete, wischte sich das Kinn ab und sah Mike durchdringend an. Seine Augen waren durch und durch rot. »Nächsten Sommer sind wieder 'n paar Kinder verschwunden...«
    Mike richtete sich kerzengerade auf. Er hörte auf der Hard Road einen Laster vorbeifahren, kleine Kinder, die am vorderen Ende des Parks im Schatten beim Kriegerdenkmal spielten, und Farmer, die sich bei der John Deere-Vertretung über die Straße hinweg unterhielten, aber in diesem Augenblick galt seine ganze Aufmerksamkeit Mink Harper.
    Mink trank einen Schluck und lächelte, als wäre er sich durchaus über Mikes ungeteilte Aufmerksamkeit im klaren. Das Lächeln war kurz und verstohlen; Mink hatte noch etwa drei Zähne, und keiner war es wert, auch nur ein paar Sekunden lang zur Schau gestellt zu werden. »Ja-woll«, sagte er, »im nächsten Sommer... dem Sommer des Jahres neunzehnhundert... sind noch 'n paar kleine Kinder verschwunden. Eins davon war

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