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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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genau wußte, wohin sie gingen - und versuchte, sich nicht sehen oder hören zu lassen. Er trug ein grünes Polohemd und Baumwollhosen zur Tarnung und hatte dunkle Kleidung zum Wechseln für die Nacht dabei, aber dennoch wünschte er sich, er hätte einen richtigen Tarnanzug gehabt.
    Mike schüttelte wieder den Kopf. Das Schwierige war, wach zu bleiben.
    Er hatte einen Beobachtungsposten am höchsten Punkt der Kluft ausgekundschaftet, keine zwanzig Meter von der Stelle entfernt, wo Dale und die anderen campten, und es war ein perfekter Posten; zwei Felsen schirmten ihn vor den Blicken anderer ab, boten ihm selbst aber einen vertikalen Beobachtungsschlitz zum Lager und der Wiese dahinter; hinter ihm wuchsen drei Bäume dicht beisammen und ließen keine Annäherung in seinem toten Winkel zu; er hatte einen heruntergestürzten Ast genommen und einen flachen Graben ausgehoben, so daß er und seine Sachen unter der Ebene von Felsen und Gestrüpp vollkommen unsichtbar waren, und trotzdem hatte er die Stelle darüber hinaus mit abgebrochenen Zweigen und einem umgestürzten Stamm getarnt.
    Mike legte seine Sachen zurecht: eine Flasche Trinkwasser und eine Flasche Weihwasser - die er mit Filzstift auf Klebeband markiert hatte, damit er sie nicht verwechselte -, seine Sandwiches und Süßigkeiten, das Fernglas, den größten Teil der Hostie, den er sicher verpackt in der Brusttasche des Polohemds verwahrte, und schließlich -mit äußerster Behutsamkeit aus dem Rucksack geholt -Memos Eichhornbüchse.
    Jetzt war ihm klar, daß das Ding illegal sein mußte - ein achtzehn Zoll langer Schrotflintenlauf und der Pistolengriff aus Walnußholz, es sah wirklich wie eine Waffe aus, die ein Gangster im Chicago der dreißiger Jahre benützt haben konnte, um einen gegnerischen Gangster wegzu-pusten. Mike klappte den Verschluß mit einem leisen Klick des Sicherungshebels oben auf und roch Öl, als er den Lauf in die Höhe hielt und im letzten Abendlicht die glatte Röhre entlangsah. In der Kiste bei Memos Gewehr waren Patronen gewesen, aber die sahen uralt aus, daher hatte Mike allen Mut zusammengenommen, war zu Meyer's Hardware gegangen und hatte eine neue Schachtel 410er lang gekauft. Mr. Meyers hatte eine Braue hochgezogen und gesagt: »Hab' gar nicht gewußt, daß dein Daddy auf die Jagd geht, Michael.«
    »Geht er auch nicht«, hatte Mike wahrheitsgemäß gesagt. »Er hat es nur bis über beide Ohren satt, daß dauernd Krähen in den Garten kommen.«
    Jetzt, während die letzten Spuren der Dämmerung verschwanden, stellte Mike die neue Schachtel Patronen vor sich hin, drückte eine in den Lauf, klappte die Eichhornbüchse zu und sah den langen Lauf entlang zu den Jungs um ihr zwanzig Meter entferntes Lagerfeuer. Für die kurze Schrotflinte waren sie zu weit entfernt; das wußte selbst Mike. Nicht einmal mit Dales Gewehr hätte man auf diese Entfernung viel treffen können, und das abgesägte Ding, mit dem Mike zielte, war über ein paar Meter hinaus nutzlos. Aber innerhalb von diesem engen Raum, das wußte er, würde die Wirkung verheerend sein.
    Das Dickicht südlich von der Stelle, wo Dale, Kev, Lawrence und Harlen das Lager aufgeschlagen hatten, machte eine lautlose Annäherung unmöglich und jedwede Annäherung/flsf unmöglich. Mike kauerte am Rand der Kluft im Norden; es wäre für jeden ziemlich schwer, den Bach zu überqueren und den Felsen hinaufzuklettern, ohne eine Menge Lärm zu machen. Damit blieb eine Annäherung durch den gangbaren Wald im Osten oder über die Wiese im Westen. Von seinem Beobachtungsposten aus konnte Mike beide Wege deutlich einsehen, auch wenn die zunehmende Dunkelheit es schwierig machte, viele Einzelheiten zu erkennen. Die Stimmen seiner am Feuer schwatzenden Freunde schienen sanft und gedämpft, wie sie über die kühle Abendluft zu ihm drangen.
    Die Eichhornbüchse hatte hinten Kimme und vorne, am Ende des Laufs, Korn, doch waren beide mehr Zierde als Hilfsmittel. Man hielt das Ding hoch, drückte ab und überließ das Treffen der breiten Streuung der Schrotladung. Als es vollends dunkel wurde, stellte Mike fest, daß seine Hand am Holzgriff feucht war. Er kramte in der Patronenschachtel, steckte zwei Ersatzpatronen in die Hemdentasche und einige in die Hosentaschen und verstaute die Schachtel wieder im Rucksack. Er sicherte und legte die Waffe auf Piniennadeln neben den Fels, zwang sich, ruhiger zu atmen und verschlang ein Sandwich mit Erdnußbutter und Gelee, das er sich am Morgen in aller Hast

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