Sommer in Ephesos
dein Feind wäre.
Die Nacht war still, etwas Schwarzes schreckte auf. Hubert machte einen Schritt auf mich zu, ich konnte nicht lesen, was in seinem Gesicht war. Er legte mir seine Hand auf die Wange, wie schon einmal, und zog sie schnell zurück. Er ging und ich lauschte in die Nacht.
Ich bin im Ephesosmuseum gewesen. An der Kassa habe ich den Ephesosführer gekauft, neu überarbeitet und ergänzt. Mein Vater hatte mir den Vorläufer gegeben, die Arbeit der letzten Jahre, hatte er gesagt, ich habe ihn nicht mitgenommen.
Am Südwestfuß des Ayasoluk, lese ich, bestand bei Ankunft der Griechen in Kleinasien ein Kultbezirk einer später als Artemis verehrten einheimischen Baum-, Quell- und Fruchtbarkeitsgöttin. Mädchenjahre einer Göttin, Baumnymphe, Quellnymphe, scheu vielleicht.
Das ephesische Siedlungsgebiet war ursprünglich die alleinige Domäne der Kybele, phrygische Muttergottheit, die war aber nicht zu zähmen, nicht hellenisierbar, rasende Große Mutter.
Kroisos, der Lyderkönig, erhob die Mädchengöttin vom Ayasoluk zur obersten Göttin. Als Artemis dachte er sie, als dunkle Schwester des Apoll, aber, so denke ich es mir, etwas von Kybele ist in die Nymphe gefahren, zerreißend, verschlingend, zauberisch dunkel.
Kroisos ließ einen Tempel bauen, der wurde die Heimstätte der Nymphe, da war sie in Stein gebannt, die Herrin der Tiere, Stadtgöttin, die aus der Wildnis kam. Aber niemand hat sie in die Erde gebettet, um sie zu schützen und um ihres Schutzes gewiss zu sein. Sie ist von ihrem Sockel gestürzt, ein Erdbeben vielleicht hat sie entthront. Ihr Kultbild wurde verbrannt und ihr Tempel der allerverödetste, der allerelendste Ort.
Am nächsten Morgen setzte sich Hubert zu mir an den Tisch, mir schräg gegenüber, guten Morgen, Ana, sagte er, etwas war rau in seiner Kehle. Der Vater war bei einer anderen Gruppe, Neuankömmlinge. Einmal, glaube ich, wollte Hubert etwas sagen, da war so eine Bewegung, es ist aber dann ein anderer an den Tisch gekommen. Er hat genickt, ein schnelles Lächeln war da, als Hubert aufstand, auf Wiedersehen, Ana, sagte er.
Als dann mein Vater auf mich zukam, musste ich mein Gesicht verschließen, dass ihm nicht die Freude entgegenplatzte. Ich fahr mit dir, sagte ich, ich war so lange nicht mehr in der Stadt. Im Bus saß ich neben dem Vater, eine schreckliche Sehnsucht schwallte in mir hoch. Ich drückte mein Gesicht an seinen Arm, dass ich ihn verraten würde, das wusste ich schon.
Möchtest du uns helfen? Wir können immer jemanden brauchen, der noch zeichnet, es muss ja für eine Bestandsaufnahme jeder Stein gezeichnet werden.
Denkst du denn, dass ich das kann?
Probier’s, sagte er.
Wieder ein anderes Lesen der Stadt, die Steine lesen und was in sie eingeschrieben ist.
Du musst unterscheiden, sagte Norbert, der mich einführte, was wichtig ist und was nicht. Du musst sehen können, was da ist, und du musst, was du siehst, interpretieren. Danach entscheidest du, was du zeichnest und was nicht. Von Menschen gemachte Spuren, sagte er, Abschläge, siehst du, Bohrlöcher, Klammerlöcher, unterschiedliche Schlagtechniken.
Wenn ein Stein zwei solche Vertiefungen hat, sagte er, dann ist das kein Zufall. Die hier, er zeigte auf Löcher, die fast kreisrund, wo die Steinblöcke auf-einanderlagen, in je zwei Steine eingeschlagen waren, die sind nachträglich angebracht worden. Hier waren Klammern drinnen, Bronze- oder Eisenklammern, die die Steine zusammengehalten haben. In der Zeit des Verfalls haben die Leute, Bronze und Eisen waren wertvolle Metalle, und das hier war offenbar am leichtesten verfügbar, also haben sie die Klammern herausgeholt. Diese Löcher erzählen uns etwas über die wirtschaftliche Lage der Region, über den Niedergang des Bergbaus und des Handels. Er lachte, versuch es einfach, sagte er und ging zu seinem Abschnitt zurück.
Erst sah ich nichts, außer Stein und Spuren der Verwitterung, Moose und Flechten. Dann sah ich Einarbeitungen, anfangs fragte ich noch, gehört das zur Bestandsaufnahme dazu? Die Flechten sind hübsch, aber nicht wichtig, sagte Norbert, das hier, er zeigte auf ein kleines quadratisches Loch, eine Kerbe, einen Riss, ein abgeschlagenes Eck, das ist wichtig. Dann wurde ich sicherer, die Eigenart jedes Steins und seine Geschichte erkennen, hatte Norbert gesagt.
Am Nachmittag kam der Vater vorbei und sah sich meine Zeichnungen an. Er verglich sie mit den Steinen, was denkst du ist das?, fragte er mich.
Keine Ahnung, sagte ich,
Weitere Kostenlose Bücher