Sommer in Ephesos
und wieder nach ihr siehst. Der Vater ging und hinterließ eine Kälte.
Er macht sich Sorgen um Ilse, sagte ich, er meint das nicht so.
Aber natürlich meint er das genau so, sagte Hubert, seit Jahren meint er das genau so.
Ich zerbröselte mein Brot, der Speisesaal leerte sich wieder, es war fast sieben, musst du nicht gehen?, fragte ich.
Vielleicht lassen wir das besser mit dem Reden, sagte Hubert, vielleicht ist das keine so gute Idee.
Wieso sagst du das?
Vielleicht soll das ja nicht sein, sagte Hubert. Ich komme zwischen deinen Vater und dich, sagte er, das siehst du ja.
Ich zuckte mit den Schultern. Aber, sagte ich, das hat doch nichts mit ihm zu tun, wenn ich mit dir rede, wenn ich, ich freue mich so, dass du da bist.
Ana, sagte Hubert, das ist nicht gut für dich.
Jemand rief ihn vom Hof her, du musst gehen, sagte ich. Er zögerte, es ist gut so, sagte ich, und ich will es auch, und, du wirst sehen, der Vater wird sich daran gewöhnen. Wir reden doch nur miteinander, ich kann doch reden, mit wem ich will. Geh jetzt, sagte ich und ich lachte, weil ich plötzlich wusste, wie es sein würde, und vielleicht, das war doch möglich, würde auch der Vater mit Hubert wieder reden.
Ilses Gesicht war verquollen, vom Weinen, vom Sonnenbrand, von der Allergie, ich werde für ihn immer hässlich sein, sagte sie, er wird mich immer so sehen, wie ich jetzt bin, lächerlich, sagte sie, und hässlich.
Nein, sagte ich, er ist nicht so.
Alle Männer sind so, sagte Ilse. Dein Vater, der die Schönheit liebt, wie kann er das ansehen.
Du bist schön für ihn, sagte ich, eine Hitze überspülte mich, du bist schön für ihn, weil er dich liebt. So ist das, nicht umgekehrt. Dann floh ich, so etwas sagen, über den eigenen Vater.
Als ich später nach Ilse schaute, schlief sie, und noch später brachte ich ihr das Mittagessen. Ich fragte sie, wie sie zur Archäologie gekommen war, Bücher, sagte sie, alle diese Bücher, die ich gelesen habe, dann schlief sie wieder. Am Abend war das Fieber weg, danke, sagte sie, als ich das letzte Mal an diesem Tag bei ihr war. Was hast du mit ihr gemacht?, fragte der Vater, nichts, sagte ich.
Wie Hubert sich gerade hielt unter dem Blick meines Vaters, der schnaubte. Solange dieser Mensch dort ist, hatte der Vater gesagt, habe ich dort nichts zu suchen. Aber, hatte ich gesagt, ich will das Artemision mit dir sehen. Schließlich hat er mir nachgegeben.
Es war schon fast sechs, als uns der Bus beim Artemision absetzte. Wir überquerten den Parkplatz, dann sah ich, wovon ich als Kind geträumt hatte: Den Ayasoluk mit der Festung und der Johannesbasilika, die Isa bey-Moschee, groß und warm lag sie am Fuß des Berges, und hinter Palmen weiße Häuser mit roten Dächern, bis zum Hals schlug mir das Herz. Die Säule, die ich jeden Tag auf dem Weg ins Grabungshaus und zurück sah, schimmerte im Abendlicht. Sehr grün war auf allen Bildern, in allen Katalogen, was hier wuchs, gelb und rosa blühend, und Tümpel waren zwischen Steinen und Eukalyptusbäume spiegelten sich im Wasser und Schilf und Büsche, Baumschösslinge. Wie erschrocken aber sah ich, was jetzt vor mir lag. Was ich unter Erde und Wasser mir gedacht hatte, lag in einem wüsten Durcheinander, in einer aufgerissenen, aufgepflügten Erde.
Der heilige Bezirk, sagte der Vater, Temenos, wo die Göttin wohnte.
Unter uns war eine Bewegung, dann kam jemand auf dem schmalen Weg, der hinunterführte, auf uns zu. Richard, sagte Hubert. Ich freue mich, sagte er, ich habe mir so gewünscht, dass du kommst. Darf ich dir zeigen, wo wir gerade sind, was wir gefunden haben, du musst dir das anschauen.
Mein Vater fuhr zurück. Hätte ich gewusst, dass du da bist, sagte er, ich wäre nicht hier. Er ignorierte Huberts ausgestreckte Hand. Ich möchte, sagte er, mit meiner Tochter durchgehen, alleine, ich denke nicht, dass ich deiner Hilfe bedarf.
Natürlich nicht, sagte Hubert steif, er sah mich nicht an. Wie er sich gerade hielt, als er unter dem kalten Blick meines Vaters an uns vorbei zum Ausgang ging.
Der Vater ging jetzt vor mir den Weg hinunter, als wäre nichts gewesen. Er redete und redete, als hätte er nicht eben Hubert vernichtet. Ich hatte nicht gewusst, dass der Vater so kalt sein konnte.
Die Zeitschichten, die hier vor uns liegen, sagte er, das meiste ist ja unsichtbar, archaisch und spätklassisch, spätantik und frühbyzantinisch. Vernichtet, wusste er das nicht? Spolien, sagte der Vater, Spolien der beiden Tempel fanden sich
Weitere Kostenlose Bücher