Sommer in Ephesos
hier.
So, einen Platz, was denn für einen Platz? Ihr habt eine Berechtigung, hier zu sein, mich duldet ihr, weil ihr müsst.
Hubert nahm eine Strähne meines Haares zwischen seine Finger. Mein Haar glitt durch seine Finger, dann schien er zu merken, was er tat, er trat einen Schritt zurück.
Wenn ich dich unter den Bäumen sehe, sagte er, und als suchte er etwas am Horizont, so konzentriert schaute er jetzt in die Ferne, wenn du über den Platz gehst, ich kenne dich immer. Als wandelte die Göttin, sagte er und errötete.
Dann ging er und ich blieb und setzte mich unter die Eukalyptusbäume, und später, wenn ich an ihm vorbeiging, warf ich mich manchmal in Pose, wandelnde Göttin, sagte ich, und er lachte.
Ihr dürft das nicht verändern, sagte ich und nahm mit einer Armbewegung alles mit, was um uns herum war, es ist vollkommen.
Der Vater lachte.
Ich will nicht, dass ihr das zerstört.
Die Zerstörung ist doch schon passiert, sagte der Vater.
Es ist perfekt, so wie es ist, beharrte ich.
Wenn wir nichts tun, wird sich die Natur deinen perfekten Ort zurückholen, das weißt du. Es ist ein romantisches Plätzchen, aber das ist keine archäologische Kategorie, Anastasía.
Verstehst du das nicht, sagte ich, wütend plötzlich, wieso verstehst du das nicht? Dass es nicht immer nur um archäologische Kategorien geht.
Du bist aber hier auf einer archäologischen Ausgrabung, Anastasía, sagte der Vater steif. Und ich fürchte, da sind es ausschließlich archäologische Kriterien, die zählen.
Das ist so ein schöner Ort, rief ich, und ihr macht ihn kaputt!
Der Vater runzelte die Stirn. Was soll ich mit dir anfangen, Anastasía. Er packte die Essensreste und das Geschirr in den Korb, mit dem er gekommen war. Vielleicht beruhigst du dich bis zum Abend, dann können wir gerne reden.
Und wenn dir was nicht passt, gehst du einfach weg, schrie ich ihm nach.
Der Vater drehte sich um. Ich muss zurück ins Theater, sagte er. Ich arbeite hier, das ist auch eine der Kategorien, die du vielleicht nicht verstehen willst. Aber für mich sind sie verbindlich, das kann ich nicht ändern.
Dann geh, schrie ich, dann geh halt. Aber du musst nicht meinen, dass ich am Abend mit dir rede.
In der Luft war ein böses Summen, als ich davonstürmte. Wieso verstand er mich nicht, wieso hörte er nicht zu? Meine Zehe knallte gegen eine Marmorplatte, mit einem Aufschrei ging ich zu Boden. Dann war der Vater neben mir, meine Zehe blutete, er umwickelte sie mit einem Taschentuch, er half mir auf und ich humpelte zur nächsten Säulenbasis, auf der ich fluchend niedersank.
Was ist jetzt los?, fragte der Vater, erklär’s mir.
Ich weiß nicht, sagte ich.
Dass wir die Theaterstraße irgendwann restaurieren, ist das so schlimm?
Nein, sagte ich. Natürlich nicht. Das war dumm von mir.
Was ist es dann?
Ein Falter flatterte auf, ein Zweig schwankte, der Vater wartete. Ich will nicht, sagte ich, dass andere hier sind, wo wir sind. Dass andere dort sein werden, wo wir gewesen sind. Es soll sich nichts ändern, nicht hier und überhaupt nicht, nie.
Der Vater saß ganz still.
Ja, sagte er schließlich. Ich verstehe.
Er stand auf. Brombeeren, sagte er, schau dir das an, unreife Früchte und Blüten und Beeren, alles auf einem Zweig. Er pflückte eine Handvoll Beeren, die waren klein und schwarz und süß und ihr Saft war dunkelrot.
Um diese Zeit etwa sind die Wandschmierereien aufgetaucht. In Selçuk zuerst, in der Straße, die nach einem Wiener Bauunternehmer benannt ist, auf der Zufahrtsstraße zum Grabungshaus, schließlich auf der Mauer, die das Areal des Grabungshauses umgab. Ephesos den Türken, übersetzte mir der Vater, Kein türkisches Gold nach Österreich, der Vater ärgerte sich fürchterlich.
Vierzig Jahre für Ephesos gearbeitet, wir geben doch dem Land etwas, wir nehmen doch nichts. Alles, was wir finden, das müssen die Leute doch wissen, es bleibt alles hier, es kommt alles hier ins Museum, oder nach Izmir, nach Istanbul, es bleibt alles im Land. Mein ganzes Leben, sagte er, habe ich dem Ort hier geweiht, jawohl, geweiht, wiederholte er, als hätte ich Einspruch erhoben. Und immer habe ich nur das Wohl der Stadt im Auge gehabt, es hat in all den Jahren keine Unregelmäßigkeit gegeben, keine einzige, was wollen die Leute.
Als dann selbst auf der Mauer des Depots eine hässliche Kritzelei auftauchte und eine blutrote Inschrift von der Wand schrie, Fuck Avusturya!, ließ Hans eine Wache aufstellen.
Das kann doch nicht
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