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Sommer in Ephesos

Sommer in Ephesos

Titel: Sommer in Ephesos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Schmidauer
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mit Stefan ins Depot oder mit Hans. Ich halte ihn auf dem Laufenden, sagte Stefan zu Hubert, das ist dir doch recht? Schließlich werden wir im Herbst mit ihm weiterarbeiten. Du brauchst mich nicht zu fragen, hat Hubert geantwortet, ich weiß, dass er der Chef ist.
    Einmal hat mich Hubert, ein einziges Mal, in diesen Wochen im Grabungshaus von sich aus angesprochen. Wie ungeschickt ist er vor mir gestanden, ich zeige dir etwas, hat er gesagt, schroff. Ohne sich umzusehen, ob ich ihm folgte, ist er über den Hof, über die Auffahrt, über die Stiegen im Depot gegangen. Erst als wir vor zwei Tischen im Depot standen, war es mir, als würde er ausatmen. Der Schmuck der Göttin, hat er gesagt, ihr Kosmos.
    Vor mir lagen Ketten und mehrreihige Colliers aus Perlen und Bernsteinobjekten. Den Mittelpunkt bildete ein Schmuck aus miteinander vernetzten Teilen. Stäbchen und Dreiecke schimmerten rötlichschwarz auf dunklem Samt, in mehreren Reihen darüber schlossen große tropfenförmige Anhänger an. Und wie Blitze oder ein Schwarm von Vögeln folgten Zacken von goldrotem Bernstein, ein geheimes Leben glomm im Stein.
    So, sagte Hubert, so könnte das Bild der Göttin geschmückt gewesen sein, das Xoanon, das Vorbild für die Marmorstatuen, die wir kennen.
    Es gab, weißt du das?, eine eigene Schmückerin, eine Kosmitíra, die die Aufgabe hatte, das Kultbild zu bekleiden und ihm seinen Schmuck anzulegen. Wenn zu großen Festen das Bild der Göttin durch die Stadt getragen wurde, kannst du sie dir vorstellen, Ana, mit diesem Schmuck vielleicht, mit den Goldappliken auf ihrem Gewand, kannst du sie dir vorstellen, im gleißenden Licht.
    Das Bild der Göttin, sagte Hubert, war vielleicht nur ein Pfahl. In den Augen der Gläubigen verwandelte sich, was für uns ein Stück Holz ist, in die Göttin, die in ihrem Glanz erschien.
    Die Göttin war ein kreiselndes Feuerrad, ich hatte sie gesehen. Aus dem sprang alles, was lebte, ein wüstenheißer Atem und die süße, süße Verlockung, nicht zu sein. Ich muss jetzt gehen, sagte ich. Seh ich dich später?, fragte Hubert, ich schüttelte den Kopf. Manchmal war es, als müsste ich fliehen, wenn ich mit Hubert zusammen war.
    Es ist nicht so, dass ich den Vater täuschen wollte, wenn ich im Grabungshaus kaum ein Wort mit Hubert wechselte. Aber die Anwesenheit des Vaters und die der anderen, und weil ich mich im Grabungshaus mit fremden Augen sah, das machte es mir fast unmöglich, dort mit Hubert zu reden. Es muss im Grabungshaus so ausgesehen haben, immer noch, als wären wir uns fremd.
    Nach dem Abendessen saß ich mit dem Vater und mit Ilse zusammen, mit Vildan, David, Jan oder Martin. Der Vater zündete sich eine Zigarette an, das war mir ungewohnt, sein Feuerzeug schnappte silbern auf, einmal sind wir, sagte er und dann erzählte er von Orten, an denen es, anders als im Grabungshaus in Selçuk, keine Einzel- oder Doppelzimmer gab, Massenschlafsäle, sagte er, tropfende Duschen und streikende Toiletten, Temperaturen bis zu 50 Grad und keine Teezeit am Vormittag und am Nachmittag, kein Bier am Abend, schrecklich, stöhnte die Runde, nur Tee, morgens, mittags, abends, zwischendurch Tee, dass er dir aus den Ohren herausgekommen ist. Schlangen, sagte einer, und Skorpione ein anderer, streunende Hunde, sagte Stefan, ich saß neben Jan, neben dem Vater. Es war gut, neben dem Vater zu sitzen, ich wartete darauf, dass ich gehen konnte. Wenn es Zeit war, verabschiedete ich mich, vielleicht ging der Vater mit mir noch über den Hof zum Tor. Geht’s dir gut?, fragte er, immer, sagte ich und verschloss mich vor seinem Blick. Bis morgen, sagte er, und ich ging, als wäre ich müde, in die Nacht hinein und lief, weil ich wusste, dass Hubert da sein würde, die Straße hinunter.

    Morgen wird der Vater beerdigt. Es gibt niemanden, außer Friedrich vielleicht, mit dem ich reden könnte. Mit Friedrich will ich aber nicht reden. Die Mutter hat angerufen, gestern oder vorgestern, vielleicht schaffe ich es doch, hat sie gesagt, du siehst es ja, wenn ich da bin, bin ich da. Die Omi, denke ich, ich könnte die Omi anrufen. Aber der Großvater ist krank, und sie soll das von mir auch nicht wissen, das will ich nicht.
    Dass ich die Familie des Vaters morgen sehen werde, denke ich. Da war eine ältere Schwester, die war viel älter als er und war doch sicher schon lange tot. Ich habe eine vage Erinnerung an ein Essen, an große Menschen, ich hatte mich mit einem Mädchen unter dem Tisch versteckt. Dass wir uns

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