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Sommer in Ephesos

Sommer in Ephesos

Titel: Sommer in Ephesos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Schmidauer
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durchgeführt hatte.
    So dumm, so unglaublich dumm, sagte er. Jeder Erstsemestrige weiß das, jeder Nichtarchäologe weiß es, dass man nicht einfach so graben kann, nirgends, schon gar nicht in der Türkei und schon überhaupt nicht in der Nähe des Artemisions, auf heiligem Boden sozusagen. Jeder nächste Idiot weiß das, und ich hab das auch gewusst, aber, Hubert riss an seinem Haar, ich habe es trotzdem getan. Warum, keine Ahnung. Weil ich es so unbedingt wollte, weil ich ein Idiot war, ich weiß es heute nicht mehr. Eine sensationelle Entdeckung machen, vielleicht habe ich mir das gedacht, einfach so, in einem Pfirsichgarten.
    Hubert versetzte dem Sessel, der ihm im Weg stand, einen Tritt. Da war einer gewesen, mit dem hatte er sich angefreundet, Mehmet, das war der Sohn des Pfirsichgartenbesitzers. Sie hatten einen Baum ausgegraben, hatte er Hubert erklärt, da war ein Loch, das war sowieso da und da könnte er weitergraben, und Hubert hatte seinem Verlangen nachgegeben.
    Und dann?, fragte ich, weil er nicht weiterredete.
    Und dann, sagte er, was war dann. Er nahm das Foto, starrte den jungen Hubert an. Erst einmal war gar nichts, sagte er. Ich habe, um mein Gewissen zu beruhigen, und weil es sich so gehörte, alles dokumentiert, was ich getan habe. Ich habe es so gemacht, wie es im Lehrbuch steht. Stratigrafische Aufzeichnungen, den Kontext bewahren, hab ich zu Mehmet gesagt, großmäulig. Jeden idiotischen Metallbügel einer Cola-Dose habe ich behandelt, als ob es ein Fund wäre, jeden blöden Knochen. Der war vielleicht von einer Grillerei übergeblieben, Olivenkerne, Hühnerknochen, sonst war da ja nichts. Und dann, ich weiß nicht, ob Mehmet mich von Anfang an reingelegt hat, ob ich ihm gerade recht gekommen bin oder ob er genauso überrascht war wie ich, dann sind wir darauf gestoßen.
    Er zerknüllte das Foto und warf es zu Boden. Wenn wir was finden, hab ich zu Mehmet von Anfang an gesagt, geben wir es ab. Klar geben wir es ab, hat Mehmet gesagt und die Hühnerknochen und Olivenkerne sortiert. Und dann haben wir das gefunden, Hubert nickte zu dem zerknüllten Foto hin. Auf einmal, nach den Knochen, nach den Olivenkernen, nach einem Haufen Steine und Erde, wir haben gerade runtergegraben, auf einmal ist sie dagelegen.
    Ich bückte mich nach dem Foto, ich strich es glatt. Schimmerndes Elfenbein, große Mädchenaugen, eine schmale schlanke Statuette, Huberts unbändiges Lachen.
    Nach der ersten Euphorie, sagte Hubert, habe ich auf einmal gewusst, was ich getan hatte. Wir müssen sie zur Grabungsleitung bringen, habe ich zu Mehmet gesagt, müssen wir, hat er gesagt, klar müssen wir. Ich hab Glück, wenn sie mich nicht einsperren lassen. Ich hätte das nie tun dürfen.
    Erst trinken wir noch was drauf, hat Mehmet gesagt, warte hier. Ich wickle sie in ein Handtuch ein, hat er gesagt, wir können ja nicht so mit ihr durch die Straßen gehen, warte hier. Sofort zur Grabungsleitung, hab ich gedacht, und mir zurechtgelegt, was ich sagen würde. Dass ich alles dokumentiert hatte, würde mich vielleicht retten, also retten, zeigen, dass ich nur ein gottverdammter Idiot war und kein krimineller Raubgräber. Und irgendwann ist mir aufgefallen, dass Mehmet nicht mehr zurückgekommen ist, und da hab ich gewusst, dass er mich reingelegt hat.
    Er sah sich im Zimmer um, als wäre ihm fremd, was er sah. Ich sollte packen, sagte er, aber er rührte sich nicht.
    Wie kommt der Vater zu dem Foto?, fragte ich.
    Ich habe es ihm gegeben, sagte Hubert. Ich habe ihm alles gesagt, was hätte ich sonst tun sollen?
    Wieso, fragte ich, wieso hast du es nicht einfach verschwiegen? Mehmet hätte dich doch sicher nicht verraten.
    Aber das konnte ich nicht, sagte Hubert erstaunt. Natürlich musste ich es der Grabungsleitung sagen. Es nicht zu sagen, wäre ein weiterer Fehler gewesen, ich hatte schon genug Fehler gemacht. Wenn ich Glück habe, dachte ich, sperren sie mich erst in Österreich ein. Dass ich nie wieder eine archäologische Stätte betreten dürfte, das war klar, das Archäologiestudium war gestorben, ich habe da aber gar nicht mehr viel gedacht. Als dann endlich dein Vater gekommen ist, es war ein Samstag und er hatte einen Ausflug gemacht, als er dann endlich zurück war, habe ich ihm alles erzählt. Es war, Hubert starrte blicklos in den Kasten, eine Erleichterung. Ich war doch ein Verbrecher plötzlich, ein Raubgräber, das Allerabscheulichste, das ein Archäologe überhaupt sein kann. Dass man einen umbringen kann, das

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