Sommer in Ephesos
bist wie deine Mutter, du könntest genauso gut in Amerika sein, so wenig sehe ich dich.
Das stimmt nicht, sage ich, das letzte Mal, ich denke nach, du hast recht, das ist schon ziemlich lange her. Nicht böse sein.
Nützt es was, wenn ich böse bin?, fragt sie. Sie sieht sich um. Wo ist dein netter junger Mann?
Wen meinst du?
Wen meinst du, wen meinst du, schimpft sie, du weißt genau, wen ich meine. Warum ist der Friedrich nicht hier, lässt er dich allein, in so einer Situation?
Die Omi hat Friedrich einmal getroffen. Ich will wissen, mit wem du wegfährst, hat sie gesagt, als ich ihr erzählt habe, dass ich mit ihm nach Südtirol fahre, also waren wir bei der Omi zum Kaffee.
Er ist im Anzug erschienen und mit Blumen. Wir gehen auf keine Hochzeit, habe ich gesagt.
Wenn ich bei ihr um deine Hand anhalten dürfte, würde ich das tun, hat er gesagt.
Die Omi hat ihn gemocht, er sieht gut aus, hat sie mir zugeflüstert, so laut, dass er es hören musste. Er wirkt auch sehr sympathisch, Herr Friedrich, hat sie gesagt, um ihn aufzuziehen. Nur Friedrich, hat Friedrich gesagt, also, die Omi sieht sich um, wo ist er?
Nicht da, sage ich, was soll er hier?
Bei dir sein, sagt die Omi.
Ich habe ihn nicht eingeladen, ich brauche ihn nicht.
Tu nicht so, sagt sie, als würdest du niemanden brauchen. Warum sollst ausgerechnet du niemanden brauchen.
Dann setzen sich ein paar Leute zu uns, die zur Familie gehören, die Cousins, denke ich, und die Cousinen. Wir erklären einander unsere Verwandtschaftsverhältnisse. Zwischendurch schwirrt die Mutter an den Tisch, bleib einmal wo sitzen, schimpft die Omi, ich habe da einen interessanten Mann kennengelernt, sagt die Mutter. Sie soll sich einmal einen uninteressanten Mann suchen, vielleicht bleibt der bei ihr, sagt die Omi, und darüber vergeht das Essen.
Ich muss zum Großvater zurück, sagt sie schließlich, sie umarmt mich, ich bin da, wenn du doch jemanden brauchst.
Ich drücke ihr ein Päckchen Kuchen, Honigkuchen, in die Hand. Sag dem Großvater einen schönen Gruß, er soll gesund werden.
Er will dich sehen, sagt die Omi, der Nächste bin ich, sagt er, dann sieht sie mich im Sarg.
Also gut, sage ich, ich komme am nächsten Wochenende.
Siehst du, sagt sie, es geht ja.
Später fragt die Mutter nach Friedrich, ich habe gehört, da gibt es jemanden, lerne ich ihn nicht kennen?
Wozu, sage ich, willst du ihn ficken?
Die Mutter sieht mich an, wie schockiert, red nicht so grauslich, sagt sie.
Das habe ich von dir, antworte ich, und es stimmt ja auch.
Wir wussten nicht, dass es der letzte Tag des Sommers sein würde. Wie haben wir ihn verbracht? Heiter, fast gelassen, das Schlimmste war schon passiert. Eine Erleichterung und eine zaghafte Freude.
Am Abend war der Vater wieder da. Komm ins Büro, hat er zu Hubert gesagt, der mit Stefan und Barbara die Tagesarbeit durchging, mich hat der Vater nicht angesehen. Als Hubert zurückgekommen ist, ist er an uns vorbeigegangen, über den Hof, in das Haus, Hubert, hat Stefan gesagt, aber Hubert hat nicht reagiert. Ich bin ihm nach, er saß im Dämmerlicht auf dem Bett, es ist aus, hat er gesagt, es ist alles vorbei.
Was redest du?
Hubert hat mir ein Kuvert hingestreckt, darin war ein Foto, ich habe das Licht aufgedreht, das Foto zeigte ihn, einen jüngeren Hubert, wie ich ihn von ganz früher kannte. Er hielt etwas in den Händen, schmal, länglich, eine Statuette, Elfenbein, dachte ich, eine elfenbeinerne Statuette, die in seinen Händen zu leuchten schien, und Hubert lachte in die Kamera. Ich tastete in dem Kuvert nach mehr, aber das war alles.
Das geht morgen an die Grabungsleitung, sagte Hubert, das und die anderen Fotos.
Was ist das?
Das, sagte er, das ist eine verdammte Dummheit.
Erklär’s mir, sagte ich.
Wozu, es ist vorbei. Ich kann die Koffer packen, ich bin erledigt, ich muss froh sein, wenn ich nicht in einem türkischen Gefängnis verrotte. Er sprang auf, er lief im Zimmer auf und ab, verdammt, verdammt, verdammt, schrie er, ich war so ein verdammter Idiot.
Erzähl’s mir, sagte ich und schließlich erzählte er mir, immer wieder stockend, eine wirre, verworrene Geschichte, wie er in seinem ersten Jahr, er war im Depot eingeteilt, um Scherben zu vermessen, Scherben zu zeichnen, wie er, weil er seine Ungeduld nicht bezähmen konnte und weil niemand da war, dem er das so sagen konnte, in einem Pfirsichgarten hinter dem Artemision zum Spaß, zum Spaß, stöhnte er, eine kleine private Grabung
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