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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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könnte sie ihm ihr Herz ausschütten. Er würde dann nur verständnisvoll nicken und ihr versichern, dass sie alles ganz toll gemacht habe: die Kinder, ihre Figur, den Haushalt, das Puppenhaus. Einfach alles.
    Sie überquerte die Brücke über den Piscataqua River, die New Hampshire mit Maine verband, und dachte an Pats Lieblingsspiel bei langen Autofahrten: Wer die Brücke als erster sah, bekam einen Vierteldollar. Als die Kinder klein waren, hätte man glauben können, dieser Vierteldollar sei ein Hunderter, so sehr johlten und stritten sie, wer am Übelsten gemogelt hatte. (Du kannst die Brücke noch gar nicht gesehen haben – wir sind ja noch in Boston!)
    Im letzten Sommer hatte Pat das Spiel mit den Enkeln spielen wollen. Foster hatte gefragt: »Und was kriege ich, wenn ich die Brücke als Erster sehe?«
    »Einen Vierteldollar!«, antwortete Pat begeistert.
    Im Rückspiegel konnte Ann Marie sehen, wie ihr zweijähriger Enkel sich vorbeugte: »Aber unter der Fußmatte liegen doch schon zwei«, sagte er. Dann vertieften er und seine Schwester Maisy sich wieder in ihre seltsamen elektronischen Spielgeräte und sprachen bis Cape Neddick kein Wort. Ann Marie hätte dankbar für die Ruhe sein sollen, aber sie wollte die Kinder lieber packen, ihre Köpfe nach oben drehen und in der richtigen Position fixieren. Waren schon die Kinder heutzutage zu beschäftigt, um aus dem Autofenster zu gucken und ein bisschen zu träumen?
    Sie fuhr von der Autobahn ab und auf die Route 1, an der sich Tankstellen und Supermärkte aneinanderreihten und alle fünfhundert Meter eine Ampel stand. Fünf Minuten später war sie in Ogunquit und sah nur noch Souvenirläden und Cafés. Sie folgte der Straße Richtung Cape Neddick und fuhr bald an vertrauten Gebäuden vorbei und dann an der großen, verfallenen Scheune am Ende der Whipple Road. Sie blickte über das Meer, auf dem unter einem wolkenlosen Himmel Segelboote weiß in der Sonne leuchteten. Kein Ort auf der Welt lag ihr mehr am Herzen.
    Auf der Briarwood Road ging sie aufs Gas. Es war kurz vor zehn, und Alice war vermutlich gerade erst in der Kirche angekommen. Es blieben Ann Marie also mindestens zwei Stunden, um sich im Sommerhaus einzurichten und für sich und Alice ein Mittagessen zu zaubern. Und wenn sie Glück hatte, konnte sie schon mal mit den Puppenhausvorhängen anfangen.
    Ihr Wagen jagte den von Pinien überschatteten Sandweg hinunter. Und dann war sie da, und das Sommerhaus stand wie ein alter Freund vor ihr. Daneben ragte der große Neubau, und dahinter lag der Strand so leer, als würde er nur auf sie warten. Sie stieg aus dem Mercedes und spürte überschwängliche Freude.
    Ann Marie öffnete den Kofferraum und nahm die Puppenhausutensilien zuerst heraus. Die Nähmaschine unter einem Arm und die schwere Tasche mit den Stoffen am anderen hängend, sammelte sie die herausgefallenen Farbtöpfchen und Bänder zusammen und balancierte sie auf der prall gefüllten Tasche. Es waren ja nur ein paar Meter, da sollte sie gleich so viel wie möglich mitnehmen.
    Sie drückte die Tür mit der Hüfte auf. Die war nie abgeschlossen. Dann stand sie auch schon im Flur und wurde von der vertrauten Mischung aus Meeresluft und dem moderigen Geruch des alten Hauses begrüßt.
    Während sie ins Wohnzimmer ging, dachte sie, dass es eigentlich ganz nett war, mal alleine hier zu sein. In diesem Augenblick sah sie ihre Nichte. Sie saß in Unterhose und einem T-Shirt der Kenyon Volleyballmannschaft am Esstisch und hämmerte auf der Tastatur eines Notebooks herum. Sie sah pummeliger aus als sonst.
    »Maggie«, sagte Ann Marie sanft, um sie nicht zu erschrecken, aber trotzdem schnappte das scheue Ding erschrocken nach Luft und griff sich an den Bauch.
    »Oh Gott, hast du mich überraschst!«, sagte sie, stand auf und lächelte verlegen. Dann griff sie nach der auf dem Boden liegenden Jeans und zog sie schnell an.
    »Ich hatte niemanden erwartet. Kann ich dir mit den Sachen da helfen?«, fragte Maggie. Dann sah sie genauer hin: »Was ist das eigentlich?«
    Ann Marie ließ alles auf den Tisch fallen, auf dem sich schon Bücher und Zettel stapelten.
    »Was machst du eigentlich noch hier, meine Liebe? Ich dachte, du bist schon seit dem vierzehnten wieder in New York.«
    »Ich hatte es mir nochmal anders überlegt. Hat Oma dir nichts gesagt?«
    »Nein. Das hat sie nicht.«
    »Und du? Bringst du die Sachen da vorbei?«, fragte Maggie und zeigte auf die Materialien fürs Puppenhaus.
    Ann Marie atmete

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