Sommer in Maine: Roman (German Edition)
»Es war keine Kurzschlusshandlung. Das wisst ihr hoffentlich. Ich habe viel darüber nachgedacht. Aber das Haus ist doch schon lange nicht mehr, was es einmal war. Deine Schwestern und du haltet es ja kaum ein paar Tage gemeinsam hier aus.«
»Das stimmt doch gar nicht«, sagte Patrick. »Dieser Ort bedeutet uns alles, Mama. Und unseren Kindern auch. Und den Enkeln. Du darfst es uns nicht nehmen.« Mittlerweile bettelte er schon, aber Alice blieb ungerührt.
»Ich lasse mich nicht unter Druck setzen«, sagte sie. »Außerdem kommt es überhaupt nicht in Frage, jetzt noch zu Pfarrer Donnelly zu gehen und die Spende zurückzuziehen. Die Kirche verlässt sich auf mich.«
»Und wenn wir ihnen ein Drittel des Landes überschreiben?«, fragte Pat.
»Komm Pat, lass es gut sein«, sagte Ann Marie. »Sie lässt sich ja doch nicht umstimmen.«
»Ganz genau«, sagte Alice triumphierend, als hätte sie sich in einer politischen Diskussion gegen die Opposition durchgesetzt. »Reden wir von etwas anderem. Wann kommen Patty und Josh morgen an?«
An jenem Abend fuhren Ann Marie und Pat zum großen öffentlichen Strand in Ogunquit, um Alices Dunstkreis zu entfliehen. Sie parkten auf dem großen Parkplatz neben den Umkleidekabinen und blieben einfach im Wagen sitzen. Ann Marie dachte darüber nach, wie verwöhnt sie doch gewesen waren. Wer hatte schon seinen eigenen Strand direkt vor der Haustür?
Sie dachte an die deprimierenden Mietshäuser in Cape Cod, in denen ihre Schwestern ihre Urlaube verbrachten. Da musste man von Ketchup und Senf bis zu den Servietten alles selber mitbringen und die Teebeutel und Knabbereien eines Fremden wegräumen, bevor der Urlaub anfangen konnte. Diese Häuser waren voll vom Nippes anderer Leute, rochen muffig und standen so dicht beieinander, dass man durch das offene Fenster an den Gesprächen der Nachbarn teilhatte.
Im Sommerhaus an der Briarwood Road hatte nie jemand übernachtet oder auch nur geduscht, der nicht zur Familie oder zum engen Freundeskreis gehörte. Ann Marie konnte sich nicht vorstellen, dass das Haus wirklich bald Fremden gehören sollte. Es fühlte sich an, als sei ein guter Freund gestorben.
Pat sagte, dass sie sich irgendwann ihr eigenes Haus würden leisten können. Aber Ann Marie wusste, dass etwas so Schönes wie das Stück Land am Ende der Briarwood Road für sie unbezahlbar wäre. Ein Wassergrundstück stand außer Frage. Pat hatte dieses hier auf 2,3 Millionen schätzen lassen. Außerdem ging es doch um etwas ganz Anderes. Es ging um ihr Zuhause. Ann Marie und Pat hatten viel dafür getan, es in Schuss zu halten – mehr als jeder andere. Und jetzt das.
Ann Marie saß weinend auf dem Beifahrersitz. Pat streichelte ihren Arm.
»Es tut mir leid, dass sie so ist«, sagte er. »Ich wünschte, ich könnte etwas tun.«
»Du kannst nichts dafür.«
»Wenn nur mein Vater noch da wäre! Der würde sie schon zur Vernunft bringen. Er war der einzige, der das konnte. Tja, abgesehen von dir.«
Sein Blick folgte einer Mutter und ihren zwei Söhnen mit weißen Sonnencremenasen. Sie hatten Eimer, Schippen, Handtücher und Badelatschen in der Hand und hüpften barfuß über den heißen Asphalt.
Ann Marie sah ihren Mann an: »Pat, ich weiß nicht mehr weiter.«
»Wir haben ein schwieriges Jahr hinter uns«, sagte er.
»Ja.«
Und im Versuch, optimistisch zu klingen, fuhr er dann lauter fort: »Ich freue mich jedenfalls riesig darauf, im September in London dabei zu sein, wenn du Gold absahnst.«
Sie lächelte matt: »Und dann?«
»Dann – wer weiß? Ich habe das Gefühl, dass es für uns Zeit wird, ein neues Kapitel aufzuschlagen.«
Sie nickte. Die Vorstellung machte sie müde, gab ihr aber irgendwie auch Hoffnung.
»Was hältst du davon, wenn wir von London aus nach Irland fahren? Sozusagen eine zweite Hochzeitsreise«, er hob vielsagend eine Braue, und sie lachte.
»Ich habe auch gerade an unsere Reise damals gedacht«, sagte sie. »Das wäre schön.«
»Ich habe dich sehr vermisst, als du hier bei meiner Mutter warst«, sagte er. »Das hat mich nachdenklich gemacht.«
Sie saßen eine Zeit lang schweigend da, jeder in seine Gedanken vertieft, von denen der andere einige sofort hätte erraten können, und sich andere im Traum nicht ausgemalt hätte.
»Gehen wir was trinken?«, fragte er schließlich.
Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und sagte: »Okay, los.«
Sie stiegen aus dem Wagen, er nahm ihre Hand und sie gingen Richtung Stadt davon.
Am nächsten
Weitere Kostenlose Bücher