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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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im Vorbeigehen auf fremden Schultern ab. Sie fand Steve schließlich auf dem Parkplatz in der langen Schlange vor den Dixi-Klos. Er stand hinter einer Gruppe Jugendlicher, die sich Leuchtstäbe in den Mund stopften und ihre Wangen kränklich grün leuchten ließen.
    Als er Ann Marie sah, grinste er: »Gott sei’s gedankt: Zivilisation.«
    Ihr Herz pochte. Sie musste sich irgendwie beruhigen. Wenn sie bloß den Champagner mitgebracht hätte. Sie bemerkte die Stars-and-Stripes -Anstecknadel an seinem Revers und berührte sie.
    »Wie hübsch«, sage sie, indem sie einen Schritt näher trat, damit sie seinen Atem auf der Wange würde spüren können, wenn er sprach.
    »Danke. Die habe ich in D.C. gekauft, als wir mit den Kindern mal da waren. Man muss doch zeigen, dass man auf sein Land stolz ist. Aber wem sage ich das?« Er deutete auf ihre Garderobe: »Du bist ja heute eine wahre Miss Amerika.«
    Das war ihr Stichwort. Ann Marie nahm sein Gesicht in die Hände, neigte sich vor, bis sie seine warmen Lippen auf ihren spürte, und schob ihre Zunge sanft dazwischen. Einen Augenblick lang erlebte sie, wovon sie so lange geträumt hatte. Aber dann riss er sich plötzlich los.
    »Ann Marie, was machst du da?«
    Er drehte den Kopf nach links und rechts, als suche er nach einem Fluchtweg.
    »Aber ich dachte –«, sagte sie. Und plötzlich brach alles um sie zusammen. Das Haus war verloren, und ihre Kinder waren Enttäuschungen. Sie würde bis an ihr Lebensende mit ihrer Schwiegermutter und Kathleen geschlagen sein. Es hatte für sie nur noch eine einzige Person gegeben, deren Existenz ihr Freude bereitete, und jetzt hatte sie das auch noch kaputtgemacht. Wann würde sie endlich aus diesem Albtraum erwachen? Am liebsten hätte sie sich auf der Stelle in Luft aufgelöst.
    »Bitte«, sagte sie sanft, obwohl sie nicht genau wusste, worum sie ihn bat.
    »Du hast zu viel getrunken«, sagte er grob, indem er sich von ihr abwandte. »Ich gehe jetzt zu den anderen zurück. Du kommst sicherlich alleine klar.«
    Sie nickte, und während sie ihn eilig davongehen sah, stieg langsam Panik in ihr auf. Und dann, als sie sicher war, dass es schlimmer nicht werden konnte, hob sie den Blick und sah Kathleen, die keine fünf Meter von ihr entfernt stand und sie anstarrte. Sie musste den Kuss gesehen haben, denn ihr Mund stand immer noch offen.
    Jetzt wollte Ann Marie nur noch weglaufen. Hatte sie ihre Ehe in den paar Sekunden zerstört? Würde sie das Haus behalten können oder ihr Dasein ab jetzt in irgendeiner tristen Einzimmerwohnung fristen?
    Sie ging auf Kathleen zu und redete atemlos auf sie ein: »Bitte, bitte erzähl es nicht Patrick, Kathleen. Ich bitte dich.«
    Kathleen richtete sich auf, und plötzlich veränderte sich ihr Ausdruck. Ann Marie sah vielleicht zum ersten Mal, dass Kathleen echte Wärme ausstrahlte. Ihre Schwägerin sagte langsam, aber entschlossen: »Was soll ich nicht erzählen? Ich hab nichts gesehen. Ich warte hier nur darauf, dass Maggie endlich aus dieser widerlichen Toilette rauskommt. Sie steckt da schon eine Ewigkeit drin.«
    Meinte sie das wirklich ernst?
    »Bitte«, sagte Ann Marie abermals. »Ich kann das alles erklären.«
    »Da kommt sie ja«, sagte Kathleen und winkte ihrer Tochter zu. »Und jetzt: Wo sitzt ihr und was habt ihr an Nachtisch dabei?«
    Am nächsten Morgen erwachte Ann Marie mit starken Kopfschmerzen. Steve sah ihr dabei zu, wie sie sich mit dem Kaffee ein paar Aspirin einwarf und sagte entgegenkommend: »Wir haben gestern alle ein bisschen viel getrunken. Ich kann mich gar nicht an die Details erinnern.«
    Seine Großmut machte es nur noch schlimmer. Die Brewers sollten verschwinden. Ann Marie schlug die Eier für eine Quiche in eine Schüssel.
    Ihr war klar, dass es sinnlos war, aber sie ging den Abend doch immer wieder gedanklich durch: Warum hatte sie so viel Champagner in sich hineingeschüttet? Wie hatte sie die Zeichen so falsch interpretieren können? Aber vielleicht hatte sie sie gar nicht fehlinterpretiert. Vielleicht war es nur der falsche Augenblick gewesen. Jetzt hatte sie es jedenfalls endgültig verpatzt.
    Kathleen hatte sich den ganzen Abend über seltsam benommen: Sie hatte wie eine normale Erwachsene nett mit Linda und Steve geplaudert, sich kaum mit Alice gezankt und am Ende sogar erklärt, das Feuerwerk von Portsmouth gehöre zu den schönsten, die sie je gesehen habe. Anscheinend wollte sie Ann Marie zeigen, dass ihr Geheimnis bei ihr sicher war. Aber Ann Marie kannte ihre

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