Sommer in Maine: Roman (German Edition)
Kathleen es ablehnte, sich mit diesem albernen Problem auseinanderzusetzen, sagte sie nur: »Schon gut.« Also war es von vornherein keine große Sache gewesen. Ihre Schwägerin hatte sich einfach aufspielen wollen. Typisch Ann Marie. Sie sollte sich der Einfachheit halber gleich das Wort MÄRTYRERIN auf die Stirn tätowieren lassen.
Ann Marie nannte Alice Mama. Kathleen irritierte das auch nach dreißig Jahren noch. Wer wünschte sich schon Alice als Mutter?
Als sie noch in Massachusetts lebte, hatte Kathleen sich manchmal vorgestellt, Eleanor, ihre Patin bei den Anonymen, sei ihre Mutter. Sie saßen oft im Café unten im Haus von Eleanors Wohnung am Harvard Square und tranken Tee, während Kathleen von ihrem Tag berichtete: Wieder Streit mit Paul wegen der Unterhaltszahlungen für die Kinder, wieder ein tränenreiches Treffen mit Chris’ Schulleiter.
Eleanor hatte Kathleen immer wieder gesagt, dass ein Leben ohne Alkohol kein Leben ohne Probleme sei. Man könne alles richtig machen und trotzdem käme es nicht so, wie man es sich gewünscht hatte. Eleanor hatte drei Ehen hinter sich. Die ersten beiden waren alkoholgetränkte, leidenschaftliche und überdramatische Dummheiten gewesen. Ähnlich wie Kathleens Ehe mit Paul, und vielleicht auch wie Maggies Zukunft mit Gabe, wenn Maggie die Sache nicht bald beendete. Eleanors dritte Ehe war alkoholfrei, aber gehalten hatte sie trotzdem nicht. Dann war sie einem tollen Mann begegnet, und zwei Jahre später hatte man bei ihr Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Man konnte nie wissen, wohin das Leben einen führte. Kathleen konnte nur hoffen, dass Maggie sich dessen bewusst war.
Außerdem hoffte sie, dass Ann Marie ihrer Tochter kein schlechtes Gewissen einreden würde, damit sie länger in Maine blieb, als sie eigentlich wollte. Kathleen würde Ann Maries lächerliche Sorge Maggie gegenüber sicherlich nicht erwähnen, aber bei Ann Marie wusste man nie. Vielleicht hatte sie schon ihre Fühler nach der Wurzel ihres Problems ausgestreckt. Wenn es um die Kellehers ging, konnte Kathleen es kaum ertragen, dass Maggie jetzt eine erwachsene Frau war, die sie anrufen und der sie unabhängig von ihr Ratschläge geben konnten, wann und wie sie wollten.
»Eigentlich ist der Juni euer Monat«, hatte Ann Marie am Telefon gesagt, als sei es ein Ehrenpreis und nicht schlicht und einfach ein schlechter Deal.
Kathleen war nicht entgangen, dass Patrick ihr bei der Aufteilung der Sommermonate in Maine den schlechtesten Monat zugewiesen hatte. Wer wollte schon in den Sommerurlaub fahren, bevor es richtig warm wurde?
Vor ein paar Jahren hatte sie ihn deshalb nach einem Treffen mit den Anonymen angerufen, in dem es darum gegangen war, sich nicht unterkriegen zu lassen und seine Wut nicht in sich hineinzufressen.
»Du hast mir den schlechtesten Monat für Maine gegeben«, hatte sie in den Hörer gesagt.
»Wie bitte«, hatte Patrick geantwortet. »Du bist doch seit Jahren nicht da gewesen.«
Sie hatte das Sommerhaus und die vielen guten und schlechten Erinnerungen, die sie damit verband, tatsächlich seit dem Tod ihres Vaters gemieden. Abgesehen von wenigen Ausnahmen war sie nie besonders gerne hingefahren. Urlaube an schönen Orten machten sie melancholisch. Das Fehlen äußerlicher Unzulänglichkeiten führte ihr die eigenen vor Augen – ihre fleischigen Oberarme und die Altersflecken, die täglich deutlicher wurden – und schreckte sie von der Rückkehr in ihren Alltag ab. (Sicher wäre ihr auch das malerische Sonoma Valley unerträglich, würde sie sich dort nicht mit Wurmkot beschäftigen.)
Aber darum ging es nicht. Es ging um Gerechtigkeit und die Rechte ihrer Kinder.
»Außerdem«, fuhr ihr Bruder fort, »war mir nicht klar, dass es für einen kostenlosen Urlaub am Strand einen schlechten Monat gibt.«
Ah, natürlich musste er auf Geld zu sprechen kommen. Als wüsste sie nicht genau, dass er seit dem Tod ihres Vater die Grundsteuer bezahlt hatte. (In erster Linie wohl, um seinen Anspruch auf das Grundstück zu bekräftigen.) Aber als sie nach der Scheidung mit den Kindern fast auf der Straße gelandet wäre, hatte er keinen Cent für sie übriggehabt.
»Wenn man im Geld schwimmt, ist Großzügigkeit kein Kunststück«, sagte sie und fand, dass sie sich damit noch viel zu fein ausdrückte. In Wahrheit war Patrick gar nicht großzügig. Nicht, wenn man seine Hilfe wirklich brauchte. Er hatte nie größere Summen gespendet, ohne Bezahlung einen Finger
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