Sommer in Maine: Roman (German Edition)
sein. Tja, und ihrer wohl auch. Irene und ihr Vater tranken viel, genau wie Kathleen und er früher. Meistens waren sie unterhaltsam und ausgelassen, aber die Kehrseite war, dass sie in betrunkenem Zustand in Gegenwart anderer lautstarke Auseinandersetzungen hatten. Was los war, wenn keiner in der Nähe war, wollte sie gar nicht wissen. Maggie hoffte nur, dass ihr Vater so klug gewesen war, sich sterilisieren zu lassen.
Maggie wählte und hörte kurz darauf dumpf Kathleens Stimme.
»Wir stecken bis zum Hals in Wurmscheiße«, sagte sie fröhlich. »Bei dir alles in Ordnung?«
»Ich dreh durch«, sagte Maggie. »Ich muss unbedingt mit dir reden.«
»Okay«, sagte Kathleen. »Ich geh mal raus. Augenblick.«
Im Hintergrund hörte sie ein Scheppern und dann die Stimme ihrer Mutter: »Verdammt, kann das vielleicht jemand woanders hinstellen?«
Dann kam Kathleens Stimme wieder näher: »Was ist los?«
»Ich hab komische Flecken an den Beinen und kann nicht richtig atmen.«
»Groß und flächig oder eher wie Insektenstiche?«
»Flächig.«
»Rot oder braun?«
»Rot.«
»Klingt nach Nesselsucht«, sagte Kathleen ruhig. »Das hast du aber noch nie gehabt.«
»Ich weiß. Ich dreh total durch. Ich krieg kaum Luft.«
»Immer ruhig bleiben. Du hast wahrscheinlich eine Panikattacke. Was du jetzt brauchst, sind ein paar Tropfen Johanniskrautextrakt. Nesseltee ist ein sehr gutes pflanzliches Antihistaminikum. Das hab ich dir damals auch gegen den Heuschnupfen gegeben. Und immer schön tief durchatmen, Schatz. Das ist das Wichtigste.«
»Aber ich hab das alles nicht im Haus«, sagte Maggie.
»Doch, hast du. Ich hab bei meinem letzten Besuch ein paar Sachen unter dem Handwaschbecken im Bad verstaut.«
Das hatte Maggie weggeschmissen, nachdem ein Fläschchen Sandelholzöl ausgelaufen war. Seitdem hatte alles einen Ölfilm und das Bad hatte noch Wochen später widerlich süßlich gerochen.
»Geht auch eine Benadryl?«, fragte sie beim Blick ins Medikamentenschränkchen.
»Sicher«, sagte Kathleen. »Aber besorg dir auch mal die anderen Sachen. Jetzt erzähl mal: Was ist passiert? Woher die Panik?«
»Ich hab ziemlich große Neuigkeiten«, sagte Maggie. »Aber erstmal: Gabe und ich hatten Streit. Er hat gesagt, dass er doch nicht zusammenziehen will. Ich glaube, diesmal ist es wirklich vorbei.«
»Ach Schatz, das tut mir leid. Aber ist es nicht besser so?« Die Worte schossen aus Kathleen heraus, als würde sie aus einem Buch zum Thema Was sagt man bei Liebeskummer vorlesen. »Ich weiß, dass es sich für dich jetzt anders anfühlt, aber glaub mir: Früher oder später wirst du es auch so sehen. Die Wege des Universums sind unergründlich.«
Von diesem Spruch wurde Maggie schlecht. Sie wünschte sich nach wie vor, dass er der Richtige war und wollte das nicht hören. Dabei hatte sie ja vorher gewusst, dass ihre Mutter Gabe nicht mochte.
Trotz Kathleens Kritik an Alice waren die beiden sich in mancherlei Hinsicht erschreckend ähnlich. Sie waren stolz darauf, ihre Sichtweise immer offen auszusprechen, auch wenn es wehtat.
»Und deine Neuigkeiten?«, fragte Kathleen.
Maggie lehnte sich an die Wand. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass Kathleen das Telefonat beenden wollte. Wie hatte sie glauben können, ein Gespräch mit ihrer Mutter würde ihr helfen? Wenn Kathleen von der Schwangerschaft erfuhr, würde sie wahrscheinlich nur total ausrasten, und sagen, dass Maggie sich ihr Leben ruiniert habe. Ihre Mutter würde so schnell keine Fläschchen abkochen und Babysöckchen häkeln.
»Ich wollte dir nur sagen, dass ich auch ohne ihn nach Maine fahre«, sagte sie.
»Interessant«, sagte Kathleen. »Und warum?«
»Ich weiß nicht. Ich dachte, es könnte mir guttun. Außerdem habe ich den Urlaub eh schon genommen.«
»Flucht an Großmutters weichen Busen.«
»So ungefähr«, sagte Maggie. »Ich würde ja auch zu meiner Mutter fahren, aber die steckt ja bis zum Hals in der Scheiße.«
»Du weißt, dass du hier immer willkommen bist«, sagte Kathleen. Aber sie bestand auch nicht darauf.
»Ich vermisse dich«, sagte Maggie.
»Ich dich auch. Du bist aber auch das einzige, was ich von drüben vermisse. Was macht der Ausschlag?«
Maggie sah runter. »Auf der einen Seite ist er weg und auf der anderen schwächer geworden. Das ging aber schnell.«
»Ja, bei Nesselsucht ist das so.«
»Wie kannst du übers Telefon so gut diagnostizieren?«, fragte Maggie. »Von wem hast du das gelernt?«
»Von niemandem. Ich bin eben
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