Sommer in Maine: Roman (German Edition)
obligatorischen Kurse statt und am Nachmittag hielt der Swami-Yogameister einen Vortrag. Was Kathleen von ihm gelesen hatte, hatte sie beeindruckt. Er hatte die Fünf Lehren des Yoga entwickelt, von denen die wichtigste lautete: »Wir werden, was wir denken«.
Kathleen hatte sich vorgestellt, wie die Frauen aus drei Generationen – Maggie, Alice und sie – Lebenskraft und Wissen austauschten. Doch schon als der Swami bei ihrer Ankunft ihr Gepäck inspizierte, wurde ihr klar, dass es ein Fehler gewesen war, Alice mitzunehmen. Kathleen hatte ihrer Mutter deutlich gesagt, dass weder Koffein noch Alkohol erlaubt waren, und Alice hatte ihr versichert, dass das kein Problem sei. Doch als er ihren Koffer öffnete, fand er zwei Packungen Schwarztee, drei Flaschen Rotwein, eine große Flasche Rum und einen Mixer. Einen Mixer!
»Was hast du dir dabei gedacht?«, verlangte Kathleen zu wissen. Sie schämte sich für ihre Mutter.
»Ich hab mir gedacht: Was sind die Bahamas ohne einen Cocktail. Ja, das war mein Gedanke«, sagte Alice und lächelte dem Swami kokett zu, was dieser mit einem Schmunzeln beantwortete.
»Oma!«, sagte Maggie amüsiert. »Du bist echt schlimm.«
Alice weigerte sich, zum Yoga und zur Meditation mitzukommen, obwohl Kathleen im voraus bezahlt hatte. Stattdessen machte sie lange Spaziergänge am Strand. Als Kathleen sagte, dass sie dann auch gleich in Massachusetts hätte bleiben können, antwortete Alice giftig: »Ich wünschte, das hätte ich getan.«
Als Alice wegen des Rauchens mit dem Swami Ärger bekam, warf sie ihm einen tödlichen Blick zu – mit dem Kokettieren war es jetzt vorbei – und sagte: »Also wirklich, schließlich bezahlen wir ja dafür, hier zu sein. Aber gut, dann schicken Sie mich doch zum Schulleiter.«
Maggie lachte. Anscheinend dachte sie wie ihre Großmutter.
In derselben Nacht erwischte Kathleen Alice und Maggie dabei, wie sie am Strand mit Bioananassaft gemischten Rum tranken. Sie kicherten und Kathleen fühlte sich ausgeschlossen. Sie wurde sauer.
»Ich weiß wirklich nicht, warum ihr überhaupt mitgekommen seid«, sagte sie. »Ihr macht mich lächerlich, und das vor einem Mann, den ich sehr verehre.«
Maggie stand auf. »Bitte sei nicht böse, Mama.«
»Bin ich nicht«, sagte sie scharf. »Ich gehe jetzt schlafen. Morgen findet eine Sonnenaufgangsmeditation statt, aber für die werdet ihr wohl zu verkatert sein.«
Dann stampfte sie zum Bungalow zurück. Maggie folgte ihr nicht, und plötzlich kam sich Kathleen blöd vor. Hatte sie überreagiert? Aber es beunruhigte sie, dass Maggie und Alice so viel Zeit zu zweit verbrachten. Ihre Mutter war wie Hannibal Lecter: Es war gefährlich, sich zu nähern, aber manchmal konnte man ihrem Charme einfach nicht widerstehen. Es passierte Kathleen bis heute, dass sie ihrer Mutter Dinge anvertraute, die sie besser für sich behalten hätte und die ihre Mutter später gegen sie verwendete.
Nach ihrer Rückkehr von den Bahamas rief Kathleen Alice an und sagte: »Ich hatte dich eigentlich eingeladen, um dir zu helfen.«
»Ich brauche keine Hilfe. Was Leute wie du euch von Seelenklempnern, Gurus und Meditation versprecht, bekomme ich durch meinen Glauben«, sagte Alice. »Ich muss einfach öfter zum Gottesdienst gehen.«
»Aber du gehst doch schon jeden Tag«, sagte Kathleen.
»Ich muss ja auch die unzähligen Sonntage nachholen, die du in den letzten zwanzig Jahren verpasst hast.«
Also in die Falle war Kathleen aber direkt hineinspaziert.
Am Ende eines Treffens der Anonymen Alkoholiker, bevor es Kaffee gab, reichte man sich die Hände und sprach gemeinsam das Vaterunser: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name … Der trotzige Teenager in Kathleen verließ in diesem Moment immer den Raum: Mit diesen Worten assoziierte sie die schwere Luft und die düstere Musik in katholischen Kirchen. Das Gebet rief ihr die vielen Sonntagmorgen ins Gedächtnis, an denen sie neben ihren Eltern und Geschwistern mit einem albernen Hut auf dem Kopf in der Kirchenbank gestanden hatte und ängstlich zu den Darstellungen des Kreuzwegs mit der brutalen Kreuzigungsszene hinaufgeblickt hatte. Sie verstand kein Wort Latein, kannte die Messe aber irgendwann auswendig. Jede Woche stand sie dort und wartete auf das Ende des Gottesdienstes, dachte an die Hölle, an Eierkuchen und an Jungs.
Kathleens Phase als praktizierende Katholikin hatte auf Angst basiert, und sie war meistens auf der Suche nach einer Hintertür gewesen. Kein Sex vor der Ehe
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