Sommer in Maine: Roman (German Edition)
Rücken. Deine Mutter dachte jede Nacht, ich hab ’nen Herzinfarkt. Und ich dachte, naja, Sodbrennen oder so. Jedenfalls gab Alice keine Ruhe, bis ich dann zu Dr. Callo gegangen bin. Und der hat mich zum Ultraschall geschickt. Ich fand das ja übertrieben, aber gut. Dann hat er mir gesagt, dass es Krebs ist. Sie haben noch einen Test gemacht, um das Stadium festzustellen. Und das war’s auch schon.«
Er bemühte sich, fröhlich zu klingen. Als könnte gespielte Leichtigkeit den Schlag für sie dämpfen.
»Warum hast du nichts gesagt?«
Er zuckte mit den Schultern: »Ich wollte nicht, dass ihr euch Sorgen macht.«
Sie hätte schwören können, dass sie ihr Herz gegen ihre Rippen pochen hörte. »Und was jetzt?«
»Jetzt warten wir.«
»Was soll das heißen, wir warten? Was gibt es da zu warten?«
»Da kann man nicht mehr viel machen, Süße. Es ist schon in den Lungen. Im ganzen Körper. Es gibt so gut wie keine Hoffnung.«
»Aber so gut wie keine ist nicht gar keine«, sagte sie. »Du kannst doch nicht einfach aufgeben. Die heutige Medizin erreicht Unvorstellbares.«
Langsam wurde sie hysterisch. Normalerweise war er derjenige, der ihr Mut machte.
Er legte ihr die Hand auf die Schulter: »Hör mir mal zu: Ich habe mir das gut überlegt. Ich will das nicht. Kein Krankenhaus, keine Schläuche und kein Mikrowellenbestrahlungsblödsinn. Ich will einfach ganz normal weitermachen. Ich fühle mich gut, wirklich. Das hier, das will ich.« Er zeigte Richtung Sommerhaus. »Ich will, dass ihr zusammen seid. Und ich will das Lächeln deiner Mutter noch so oft wie möglich sehen.«
»Was sagt sie denn dazu?«, fragte Kathleen. »Warum hat sie nicht versucht, dich zur Vernunft zu bringen?«
»Hat sie ja«, sagte er. »Glaub mir, sie ist fuchsteufelswild. Aber ich will, dass wir ab jetzt so tun, als wär nichts weiter, okay?«
»Nein, das ist überhaupt nicht okay. Willst du mir etwa sagen, dass es keine Therapie gibt, keine Operation, die –«
»Nein. Bestrahlung könnte den Tumor verkleinern, aber das würde nicht viel bewirken. Eine Operation steht ganz außer Frage. Dazu ist der Krebs schon zu weit fortgeschritten. Außerdem halte ich nicht viel von Operationen. Mein Vater hat immer gesagt: Wenn sie dich erstmal aufschneiden, bist du geliefert. Ich glaub, da ist was dran. Es hat was damit zu tun, dass Luft reinkommt, glaube ich.«
War das Hirn schon in Mitleidenschaft gezogen? Und war dies einer dieser Augenblicke, in denen ein Kind genau das Gegenteil von dem tun musste, was der Vater sagte? Doch dann fuhr er fort: »Wenn es die geringste Chance gäbe, dass man mit diesem ganzen Kram irgendetwas ausrichten könnte, wäre ich sofort zu allem bereit. Aber der Arzt hat mir ziemlich klar gesagt, dass er nichts mehr für mich tun kann. Wir kennen uns schon eine Ewigkeit. ›Jim‹, hab ich zu ihm gesagt, ›wenn nicht ich, sondern du der Patient wärst –‹, und noch bevor ich zu Ende sprechen konnte hat er schon gesagt: ›Ich würde, was mir von meinem Leben noch bleibt, in vollen Zügen zu genießen.‹ Und mit ein bisschen Glück hab ich noch ein ganzes Jahr.«
Mit diesen Worten legte sich ein schwarzer Mantel um Kathleen. Sie wollte weinen und sich in seinem Pullover vergraben, wie sie es immer getan hatte, wenn das Leben unerträglich wurde. Aber sie wusste, dass diesmal sie die Starke sein musste.
»Ich kann verstehen, dass du keine Strahlenbehandlung willst«, sagte sie mit sanfter Stimme. Sie erinnerte sich noch genau, wie Eleanor, ihre Patin bei den Anonymen, am Ende ausgesehen hatte: Kahlköpfig und zu schwach, um auch nur aufzustehen. »Aber was ist mit alternativmedizinischen Ansätzen? Die Homöopathie ist weit entwickelt.«
Er grummelte. »Nein, danke. Ich habe eher vor, mit dem Rauchen anzufangen und rohen Hamburger mit ’ner Menge Salz zu essen, wie ihn meine Mutter gemacht hat. Steak Tartare nannte man das. Gesänge und so’n Zeug sind nichts für mich, Süße.«
Selbst in so einer Situation brachte er sie noch zum Lachen. Vor ein paar Jahren hatte sie ihm eine CD mit irischen Gesängen geschenkt, und seitdem nutzte er gnadenlos jede Gelegenheit, um sich darüber lustig zu machen.
»Keine Gesänge«, sagte sie. »Die Homöopathie ist wissenschaftlich fundiert. Ich werde mal ein bisschen recherchieren. Zumindest könnte es dir den Weg erleichtern.«
Dann flossen doch die Tränen.
Er nahm sie fest in den Arm. »Dann sag ich’s jetzt deinen Geschwistern.«
Sie nickte.
»Ah, eine letzte
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