Sommer mit Nebenwirkungen
sie bot die Distanz die Möglichkeit, sich noch einmal neu zu entdecken und wieder interessant für den anderen zu werden. Sophie sah Johann plötzlich sehr aufmerksam an, durch den Schreck war sein Panzer gefallen, und sie registrierte, wie weich seine Züge um den Mund geworden waren, die sonst oft verbissen wirkten. Neben ihr saß der Johann, den sie während des Studiums gekannt hatte. Der noch kein Geschäftsmann war, sondern einfach ein sehr begabter Maschinenbaustudent und Handballer.
»Johann«, sagte Sophie plötzlich, »ich habe die Hormonspritzen abgesetzt. Es fühlte sich einfach nicht gut an.«
»Ach.« Mehr antwortete er nicht. Aber sie hörte Erstaunen und auch ein wenig Traurigkeit in seiner Stimme. »Willst du kein Kind mehr mit mir?«
Sophie erschrak. Nein, die Botschaft hatte sie nicht aussenden wollen. Mit Johann hatte das doch nichts zu tun.
»Natürlich will ich«, rief sie, vielleicht ein bisschen zu forsch, um ihren Schreck zu überspielen. »Ich bin nur nicht mehr sicher, ob die Spritzerei der richtige Weg ist.«
»Seit wann?« Johann schaute sie an. Keine Wut war mehr bei ihm zu spüren. Wann hatten sie zuletzt so offen geredet? Er winkte ab. »Du hast sie nie genommen, oder?«
»Ich habe es wirklich versucht, aber … es ging nicht.«
Sie sah sich plötzlich wieder im Damenwaschraum ihres Büros stehen, die Bluse schon aus dem Rock gezogen, um sich diesen kleinen Stich in den Bauch zu versetzen – sie hatte nur Widerwillen gespürt. Das war der einzige Weg, um schwanger zu werden? Ihre ständigen Termine in der Klinik, das war doch krank. Warum gelang es ihnen nicht einfach auf normalem Weg? Damals hatte sie die Spritze zurück in die Handtasche gesteckt. Und nicht wieder herausgeholt.
Johann löste seine Linke zögernd vom Boden und griff nach ihrer Hand. »Du weißt, was Dr. Kemper gesagt hat.«
»Jaja: Frau Kaltenbrunn, die Hormontabletten haben bei Ihnen nicht genug Wirkung gezeigt, um eine Schwangerschaft zu ermöglichen. Also greifen wir zu einer drastischeren Maßnahme, dem Injection Pen. Durch diese Spritze, die subkutan gesetzt wird, arbeitet das Hormon deutlich effektiver. Außerdem können wir besser dosieren …«
»So hat er nicht mit uns geredet. Das Gespräch war irgendwie persönlicher«, protestierte Johann.
Machte er sich über sie lustig? Persönlicher? Dr. Kemper hatte die Sache mehr oder weniger runtergeleiert, während er mit seinem weiß bezogenen Drehhocker durch das Behandlungszimmer schoss. Er bewegte sich fort, ohne vom Hocker aufzustehen, stieß sich schwungvoll vom Schreibtisch ab, landete beim Sideboard mit den Injection Pens, redete weiter, während er eines der Dinger auspackte, zog sich dann entlang des Sideboards hinüber zu einem Ständer mit Broschüren, griff dort die wichtigsten heraus, stieß sich wieder ab, landete schließlich am Schreibtisch, schaute auf die teure Sportuhr und sagte zufrieden: »Achtunddreißig Sekunden.«
Und Johann lachte und meinte: »Bestzeit?«
Dr. Kemper schaute etwas zerknirscht, als er antwortete: »Nein, die lag bei achtundzwanzig Sekunden. Aber da habe ich auch nichts erläutert.«
Und damit waren die beiden wieder bei sportlichen Themen, denn Dr. Kemper teilte Johanns Leidenschaft für Handball. Nachdem sie ausführlich den Tabellenstand der Vereine in der Bundesliga diskutiert hatten, reichte Dr. Kemper fast fröhlich die Hormonspritze herüber.
»Wir legen jetzt mal einen Gang zu. Das ist das Neueste vom Neuen.« Fast liebevoll betrachtete er den Stift in ihrer Hand. »Schauen Sie, hier oben stellen Sie die Dosierung ein. Einfach drehen. Dann nehmen Sie die Kappe ab und …«
»Ich will das nicht«, grätschte Sophie dazwischen. Dr. Kempers Lächeln verschwand, wich einer gewissen Ungeduld. Er schaute auf die Uhr.
»Doodle, keine Sorge, du schaffst das«, sagte Johann beruhigend, der wohl dachte, sie hätte einfach Angst. Aber es war nicht die Angst vor einem kleinen Stich. Sondern ihre Sorge, immer tiefer in den Strudel der Klinik zu geraten, erst Tabletten, dann die Spritze, dann In-vitro-Befruchtung. Was, wenn das alles zu nichts führen würde?
Sie hätte damals mit Johann reden sollen, aber sie hatte es nicht gekonnt. Sie hatten einen Vertrag mit der Klinik geschlossen, und Johann war überzeugt, dass die Klinik liefern würde. Wenn man etwas bestellte und dafür viel Geld bezahlte, dann bekam man auch, was man wollte. So lief das in seiner Dienstleistungswelt. Dr. Kemper und sein Team
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