Sommer mit Nebenwirkungen
vermittelten ihm, dass eine geglückte Schwangerschaft nur eine Frage der richtigen Kunstgriffe sei. Als sei Sophies Körper ein Automat, an dem man nur die richtigen Schrauben drehen, den richtigen Kraftstoff nachfüllen musste. Stimmte alles, waren alle Werte auf »go«, dann würde die Klinik schon liefern. Ein Baby liefern.
In diesem Moment, als hätte er ihre Gedanken lesen können, sprach Johann sehr eindringlich: »Sophie, man hat uns doch gesagt, es läuft alles gut. Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir sind gesund, nichts spricht dagegen, wir müssen uns nur an ihre …«, er suchte das richtige Wort, »… Vorgaben halten.«
»Ich hatte eine Fehlgeburt«, warf Sophie ein.
»Das war doch keine richtige … Ich meine, so früh … da … Dr. Kemper weiß schon …« Er verstummte.
Jetzt schloss Sophie die Augen und lehnte sich an die Wand. Sie genoss die Kühle in ihrem Rücken, während sie den Geräuschen der Stadt lauschte, die zu ihnen nach oben drangen.
»Es stimmt. Alle in der Klinik – auch Dr. Kemper – wirken trotz der Fehlgeburt sehr optimistisch. Sie machen uns Mut und erklären uns, wie gut unsere Chancen stünden. Das mag so sein, aber Zuversicht ist Teil des Geschäfts. Was ist, wenn …«
»Willst du behaupten, sie machen uns was vor?« Johann zog die Hand zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Dass Sophie an einem sportlichen Kerl wie Dr. Kemper zweifelte, ging ihm gegen den Strich.
»Nein, das will ich nicht sagen. Ich habe nur das Gefühl, wir sollten ihm nicht blind vertrauen. Vielleicht gibt es Alternativen.«
»Was für Alternativen?«, fragte Johann gereizt.
Und da begann Sophie von Marienbrunn zu erzählen. Von einem ehemaligen Sanatorium, das jetzt zu einem Hotel umgebaut worden war. Sie erzählte das wenige, was sie in der kurzen Zeit im Internet darüber in Erfahrung gebracht hatte. Nein, musste sie zugeben, über Kinderwunsch habe da nichts gestanden. Aber irgendetwas würde sie vor Ort schon finden. Johann wirkte nicht gerade begeistert. Doch er hörte ihr zu und stellte Fragen. Die Wut war verflogen, und zum ersten Mal seit vielen Monaten redeten sie wieder offen miteinander. Sie waren so ins Gespräch vertieft, dass Johann ohne größeres Drama an Sophies Hand über die Gitter-Plattform zurück zum Fahrstuhl gelangte. Sie würde nach Marienbrunn fahren, und Johann würde sie dort sogar besuchen. Er versprach hoch und heilig, sich ein paar Tage Urlaub zu gönnen – zum ersten Mal seit fast einem Jahr. Als sie hinunterfuhren, küssten sie sich.
»Ja, ja – Wien, Stadt der Wehmut, wo Liebe wehtut«, kommentierte der Fahrstuhlführer zufrieden.
8
Die Straße endete hinter einer Scheune. Auf der holprigen Wiese parkten schon viele Autos, einige davon wirkten ziemlich teuer. Zwei Jaguar und ein wunderschöner alter Porsche 911 in Orange, daneben ein Boxster in Altrosa. Wie hatten die beiden nur den unasphaltierten letzten Teil des Weges hier herauf geschafft? Sophie lenkte ihren Fiat 500 in eine Lücke zwischen einem VW Sharan und einem 6er BMW Cabrio. Der kleine italienische Mietwagen passte gerade so hinein. Er hatte sich bewährt auf dem Weg vom Flughafen Verona in die Berge. Zweihundert Kilometer hatte sie mit dem Auto zurücklegen müssen, ein von Wien aus näherer Flughafen hatte sich nicht finden lassen. In einer eisblauen Propellermaschine war sie eine Stunde lang über die Alpen geflogen, ein erhebender Anblick. Schneebedeckte Gipfel hatten sich mit tiefen Tälern abgewechselt. Eine Landschaft, so grandios, als habe Gott selbst sie geformt.
Der Fiat, den sie dann am Flughafen übernahm, entsprach ihren Erwartungen an ein italienisches Mietauto. Der Gurt klemmte, aus dem Beifahrersitz quoll der Schaumstoff, und die Scheibenwischer hatten auch schon bessere Tage gesehen. Überhaupt wirkte das Auto kaum größer als eine Seifenkiste. Das Radio allerdings funktionierte einwandfrei. Als sie dann hinter Bozen die Autostrada verließ und in die Berge abbog, zeigte das rollende Miniding, was in ihm steckte. Die steilen Haarnadelkurven nahm es wie ein Duracell-Häschen im vollen Saft. Sie war nicht umhingekommen, dem Fiat einmal anerkennend auf sein rotes Dach zu klopfen.
Im nebenan geparkten Sharan zählte Sophie nun fünf Kindersitze. Hier oben schien ja wirklich eine fruchtbare Atmosphäre zu herrschen. Wahrscheinlich hatten die Autobesitzer das Hotel fünfmal besucht, und nach jeder Reise schafften sie neun Monate später einen weiteren Kindersitz an.
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