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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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auf Ayurveda beruht. Da beginnen wir mit …« Sophie schielte auf den Flyer. Du meine Güte, acht Packages, wollte sie die jetzt alle erklären? Sie überflog das Angebot schnell. Wenn sie sich nicht täuschte, waren das alles Standard-Wellnessprogramme. Sicherlich gehoben, aber doch nicht ungewöhnlich.
    »Nein, ich meine die anderen Anwendungen. Mathilde Freud«, versuchte es Sophie diesmal anders.
    Die Rezeptionistin, nun in ihrem Package-Vortrag unterbrochen und damit aus dem Konzept gebracht, schaute sie fragend an.
    »Mathilde Freud«, wiederholte sie verwundert, als ob sie überlegen müsste, was sie mit dem Namen anfangen könnte. »Ah«, sagte sie dann plötzlich, »ich verstehe.«
    Und wandte sich dem Computer zu. »Einen Moment bitte. Mathilde mit ›h‹, ja? Und Freud wie die Freude ohne ›e‹. Wir haben sie gleich. Dann können wir schauen, welche Packages ihre Freundin gebucht hat.«
    »Nein, nein«, protestierte Sophie, aber die Rezeptionistin war in ihrem Tippen nicht zu bremsen. Wenige Sekunden später trat das Vorhersehbare ein, und die Rezeptionistin schaute ein zweites Mal verwundert nach oben.
    »Wir haben keinen Gast mit diesem Namen«, sagte sie.
    Sophie sah, dass sie so nicht weiterkam. »Ein Missverständnis«, meinte sie leichthin, »ich gehe jetzt mal nach oben und beziehe mein Zimmer.«
    »Gerne.« Die Rezeptionistin reichte ihr den Schlüssel. »Sie nehmen den Fahrstuhl in den ersten Stock. Das Zimmer befindet sich in der Mitte des Haupthauses. Bitte machen Sie nicht den Fehler, nach rechts zu gehen, sonst kommen Sie ins Nebengebäude. Dort sind die Zimmer genauso nummeriert wie im Haupthaus, allerdings sind die Schlüssel silbern, nicht golden.«
    »Das heißt, es gibt zweimal die Nummer 13 im Hotel?«, erkundigte sich Sophie.
    »Genau, eine Eigenart dieses Hauses. Es wurde nie geändert. Ein Beispiel für die Beständigkeit hier«, erklärte die junge Frau.
    Sophie dankte ihr und begab sich zum Fahrstuhl, auch er reiner Jugendstil, ein goldenes Metallgitter, mit floralen Elementen dekorativ verziert, verschloss die Kabine aus hellem Birkenholz.
    »Abendessen ist um neunzehn Uhr«, rief ihr die Rezeptionistin hinterher.
    Sophie drehte sich überrascht um. »Sie meinen sicherlich ab neunzehn Uhr?«, hakte sie nach. Das war doch hier keine Jugendherberge, wo alle zur gleichen Zeit aßen.
    »Nein, nein, um neunzehn Uhr. Der Gong ruft alle Gäste zum Essen. Es gibt zwei feste Menüs zur Auswahl. Das ist …«
    »… eine weitere Eigenart des Hauses«, ergänzte Sophie.
    Die junge Frau lächelte. »Sie haben es erfasst«, sagte sie.

9
    Sophies Sinne waren hellwach. Sie spürte, sie sah, sie hörte, sie roch alles viel deutlicher als sonst. Das hatte der radikale Ortswechsel bewirkt, nein, nicht nur der Ortswechsel. Der unerwartete Lebensrhythmuswechsel. Plötzlich so viel Zeit zu haben, kein Handynetz, keine Assessment-Kandidaten, keine Entscheidungen, wer besser und wer schlechter abschnitt. Nur die Berge, das schöne Zimmer und sie. Das Handy hatte sie in ihrer Handtasche beerdigt, es war hier oben nutzlos.
    Die Rezeptionistin hatte nicht zu viel versprochen, das Zimmer war wirklich hübsch. Sehr hell, mit schönen alten Bauernmöbeln in gebeiztem Weiß. Es wirkte viel rustikaler als die Eingangshalle, als hätte man schon damals Themenzimmer entwickelt: Thema Landleben. Gehobenes Landleben in ihrem Fall, denn ihr Hotelzimmer hatte keine Dielen, sondern ein glänzendes Fischgrätparkett wie in einer Altbauwohnung. Türen und Fenster waren groß genug, um viel Licht einzulassen. Der Hotelprospekt, den Sophie auf einem Tischchen vorfand, lieferte einen kurzen Abriss zur Geschichte des Sanatoriums. Hinter dem Gebäude, las sie, steckte eine regelrechte Philosophie.
    Der Architekt strebte um 1900 hier in den Bergen eine Architektur an, die dem Städter vertraut war und ihn nicht zu sehr aus dem Rhythmus brachte. Der urbane Gast sollte nicht ganz auf das Metropolen-Flair verzichten müssen. Gleichzeitig sollten ländliche Elemente den Besucher zur Ruhe bringen, ihn erden. Deshalb die eigenwillige Mischung aus importierter Birke, die elegant in Jugendstilschwingung versetzt worden war, und einfachen geweißten Bauernmöbeln. »Bergluft für die Müden, die Abgespannten und die seelisch aus der Bahn Geworfenen der Großstädte«, so formulierte der Architekt das Motto seines »Rekonvaleszentenheims der besseren Stände«.
    Ein weiß-blau geblümter Bauernschrank würde für die nächste Zeit

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