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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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ihre Kleidung beherbergen. Beim Auspacken wunderte sich Sophie selbst, was alles den Weg in ihren Koffer gefunden hatte. Was in aller Welt sollte sie auf fast eintausendvierhundert Metern mit dem roten Satinkleid anfangen, das sie mit Johann secondhand in New York gekauft hatte? Ein Geschenk von ihm. Der Verkäufer schwor Stein und Bein, Bianca Jagger habe dieses Kleid damals im legendären Studio 54 getragen. Und wieso fand sie zum rot-weiß gestreiften Bikini-Oberteil nur eine blau-weiß gepunktete Bikinihose? Zum Glück zog sie nach den vierzehn Zentimeter hohen Riemchen-High-Heels ihre Kletterschuhe aus dem Koffer. Denn mit den Absätzen der Pumps würde sie sich in diesem Gelände sofort die Knöchel brechen. Wer weiß, dachte Sophie, vielleicht gehe ich ein bisschen kraxeln.
    Sie packte aus und versuchte, ihr Klamottenchaos thematisch zu ordnen, schnappte sich dann ihr heiß geliebtes Hemdkleid und verschwand zum Duschen ins Bad. Auch hier sollte die Frau an der Rezeption recht behalten, denn das Bad war neu und sehr schick. Ein Waschtisch aus schwarzem Granit, der Boden mit hellen, großen Fliesen. Das Wasser aus der Dusche wirkte viel erfrischender als x-mal geklärtes Großstadtwasser, es tat gut, die Reise von sich abzuwaschen. Die Erinnerung an Berlin, die unerfreuliche Szene mit Grotemeyer, die gemeinen Worte der Chefin, der Streit mit Johann auf der Fahrt hoch zum Nordturm des Stephansdoms – das alles wurde jetzt den Abfluss hinuntergespült.
    Danach erst, frisch gekämmt und umgezogen, öffnete Sophie die Glasflügeltür und betrat ihren Balkon. Diesen Moment hatte sie sich aufgehoben, sie ahnte, dass es etwas Besonderes werden könnte. Und sie täuschte sich nicht. Das war kein Balkon, das war eine Loge, eine Königsloge. Vor ihr erhoben sich die Dolomiten, als seien die Berge angetreten, ihr die Aufwartung zu machen.
    Wie erhaben sie dastanden, zart errötend vom beginnenden Abend. Sie spürte, wie sie ruhiger wurde. Diese Berge standen da so unabänderlich, und plötzlich erschien ihr manche Berliner Aufregung unsagbar lächerlich – warum diese Hektik, diese Dauerprüfung, dieses Immer-perfekt-sein-Wollen? Die Dolomiten zeigten ihr, dass es Dinge gab, die unverrückbar waren. Das beruhigte sie. Ob es Mathilde Freud wohl ebenso ergangen war? Die hätte mit Sophies Gefühlen sicher etwas anzufangen gewusst. Gestern im Flugzeug hatte sie im Buch von Dr. Gnoth einen Brief von Mathilde an einen Jugendfreund, einen frühen Verehrer, gelesen. »Ich bin wieder einmal ganz verzweifelt über mich und alles Mögliche«, schrieb sie da. Denn sie sei »vor Nervosität ganz verdreht«, wenn es so weitergehe, »werde ich nächstens einmal Papas Heilverfahren an mir erproben müssen«. Letzteres war wohl gewitzelt, denn anders als ihre jüngste Schwester Anna hielt sich Mathilde Freud eher von der Psychoanalyse fern. Sie ging ihrem Vater zur Hand, half bei der Korrespondenz, aber auf der Couch landete sie nie. Ob das Bergpanorama ihren Nerven gutgetan hatte? Bestimmt, dachte Sophie.
    Von der Holzveranda hörte man plaudernde Stimmen. Sophie schaute auf die Uhr – es war noch fast eine Stunde bis zum Abendessen. Ihr Magen knurrte, auf der Autostrada war sie kurz in ein Rasthaus eingekehrt und hatte sich dort ein Panino mit Parmaschinken gegönnt, aber das war nun schon eine Weile her. Normalerweise hätte sie sich jetzt schon ins Restaurant gesetzt, aber das ließ die Eigenart des Hauses ja nicht zu. Also beschloss Sophie, das Hotel zu erkunden. Sie schlüpfte in die Ibiza-Sandalen, nahm den schweren goldenen Hotelzimmerschlüssel in die Hand und ging nach draußen. Auf dem Weg nach unten benutzte sie nicht den Fahrstuhl, sondern nahm die Treppe. Hier gab es keine Holzvertäfelung, nur Marmor. Ein schöner weißer Marmor, aber anders als das Birkenholz kam er nicht von weit her, sondern aus Südtirol, aus Laas im Vinschgau. So stand es auf einer kleinen Plakette. Dazwischen prangten Zierelemente aus schwarzem Granit, als hätte Coco Chanel diese Treppe entworfen. Sophies Sandalen klackerten auf dem Marmor. Die Lobby war leer, die Rezeption nicht besetzt.
    Eine Tafel in der Eingangshalle erläuterte die verschiedenen Wege. Nach rechts ging es zum Spa-Bereich, zum Swimmingpool und zur Liegehalle. Nach unten zeigten Pfeile zu den Räumen »Christian Morgenstern«, »Franz Defregger« und »Sigmund Freud«. Sophie merkte, wie ihr Herz beim Lesen einen kleinen, glücklichen Sprung machte. Sollte es wirklich so

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