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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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eigentlich nicht denken wollte – unkontrolliert fordert es sein Recht. Als Versprecher, als Aussetzer. Nun musste der Psycho-Detektiv ran, um zu entschlüsseln, was genau verdrängt wurde. Lange Wege der Assoziation wurden zurückgelegt, es ging dabei im höchsten Maße bildungsbürgerlich zu: Kirchengeschichte, Kunstgeschichte, Literatur, ein gebildetes Wort verweist auf das nächste, ein Aspekt führt zu einem anderen. Und so schaffte es Sigmund Freud, aus einem harmlosen entfallenen Pronomen in einem Vergil-Zitat herauszulesen, dass der junge Mann, dem es entfiel, sich vor der Nachricht fürchte, dass seine italienische Geliebte womöglich von ihm schwanger sei. Vom lateinischen Wort »aliquis« über liquid – flüssig – hin zu katholischen Wallfahrtskapellen, in denen sich auf wundersame Weise trockenes Blut verflüssigt, kam er fast zwangsläufig zur ausbleibenden Periode einer Dame, mit der der junge Mann ein diskretes intimes Verhältnis pflegte. Nun ängstige er sich vor einer Nachricht von ihr, »die uns beiden recht unangenehm wäre«. Auf frischer Tat ertappt! Der Mann war in Gedanken nicht bei Vergil, sondern bei der Geliebten, die er womöglich geschwängert hatte. Es war, als zaubere Freud am Ende seines Textes ein Kaninchen aus dem Hut. So vieles ließe sich assoziieren, so viele Möglichkeiten, doch er geht den einen, zielgerichteten Weg, der zum Erfolg führt. Geheimnis gelöst. So einfach.
    Wie ein Detektiv, so musste sie nun auch vorgehen. Das Hotel barg ein Geheimnis, sie spürte es. Nun musste sie auf den kleinen Moment achten, in dem es sich verriet. Worin lag das Geheimnis? Warum war Mathilde Freud hier hochgekommen? Sophie versuchte analytisch und assoziativ wie Dr. Freud zu denken. Was immer es war, es musste schon vor hundert Jahren existiert haben – eine spezielle Anwendung, ein geheimer Ort oder ein besonderes Kraut. Misstrauisch blickte sie auf die Vorspeise des heutigen Tages, eine Wildkräuterconsommé, die gerade vor ihr auf den Tisch gestellt wurde. Und weil es hier ein festes Menü gab – nur beim Hauptgang konnte man zwischen zwei Gerichten wählen –, aß auch jeder genau diese Suppe als Vorspeise, es gab keine Alternativen. Das könnte es doch sein, ein ganz besonderes Kraut in der Suppe, eine Bergpflanze, die fruchtbar macht.
    »Entschuldigen Sie«, fragte sie die junge Kellnerin, die, wie alle Angestellten hier, in einem hübschen Dirndl bediente, »wird diese Wildkräutersuppe jeden Abend serviert?«
    Die Kellnerin, die ihr eben schon den dunklen Lagrein und das Wasser gebracht hatte, schaute sie verwundert an.
    »Nein, natürlich nicht. Unsere Vorspeisen wechseln täglich. Aber ich weiß schon, diese Wildkräuterconsommé schmeckt hervorragend. Wenn Sie die öfter auf dem Speiseplan sehen möchten, kann ich sicher mit dem Koch reden.«
    Das war ja wieder nichts, genau wie zuvor an der Rezeption.
    »Sie verstehen mich falsch. Ich wollte nur wissen, ob es vielleicht bestimmte Kräuter gibt, die jeden Abend ins Essen kommen. Das Kraut …«
    Die Kellnerin dachte sichtlich angestrengt nach. Dann sagte sie sehr höflich: »Ich denke, Petersilie ist in vielen Gerichten drin. Ja, ich vermute sogar, Petersilie gibt es jeden Abend.« Und weg war sie, wohl um zu verhindern, dass Sophie noch eine weitere blöde Frage hinterherschicken konnte.
    Super. Petersilie. Niemand wurde von Petersilie schwanger, so viel war sicher. Selbst die schlimmsten Esoterik-Seiten im Netz, die die skurrilsten Tipps für eine erfolgreiche Schwangerschaft gaben – den »Kindlein-Komm-Tee« oder nach dem Sex die Beine zur Kerze in die Höhe –, nannten niemals Petersilie. Sie schielte zu dem großen Tisch der Familie mit den fünf Kindern hinüber. Was wussten die, was sie nicht wusste? Und wo war eigentlich diese Laura geblieben? Sie schaute sich um.
    Es gab mehrere Speisesäle, sie saß im größten, der »Blaue Raum« genannt. Man musste nicht rätseln, warum er so hieß. Es sah hier aus, als seien die Schlümpfe zum Streichen vorbeigekommen. Allerdings schon vor hundert Jahren. Die alte Stofftapete leuchtete königsblau, und das Leuchten verstärkte sich noch, weil man die Tapete regelrecht lackiert hatte. Überhaupt forderte dieser Speisesaal das Auge heraus – auf den Boden hatte man mit Fliesen aus der Gründerzeit ein verschlungenes Ornament gelegt. Sophie, die mit großem Appetit ihre Wildkräuter löffelte, durchfuhr plötzlich der absurde Gedanke, man müsse womöglich eine bestimmte

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