Sommer, Sonne, Ferienglück
Jahrhundert die ganze Gegend beherrschten – »In der Zeit von Romeo und Julia – erinnern Sie sich, Fräulein Kröppe? Wenn Sie wollen, nehmen meine Frau und ich Sie gerne mit nach Verona. Nicht wahr, Hildchen? Und dann sehen wir uns mal den Balkon an, auf dem die kleine Julia stand, als ihr Romeo sie vom Garten aus anschmachtete …« – da hatte sie doch etwas wie eine Reaktion gezeigt. Sie hatte zumindest interessiert aufgeblickt.
Aber von einer Zusage auf ein so liebenswürdiges Angebot oder auch nur einem vernünftigen, ja doch wohl angebracht höflichen Wort – keine Rede.
Und dann, als Theo, der mal kurz ins Haus mußte, zurückkam, war sie verschwunden. – Einfach weg!
»Wo ist denn dieses Mädchen?« hatte der Studiendirektor gefragt.
Was sollte er schon sagen?
»Ein bißchen sonderbar benimmt sie sich schon.«
»Nun«, hatte Theo gesagt, »sie kommt aus Sachsen. Vielleicht ist sie das alles hier gar nicht so recht gewöhnt …«
Trotzdem: Du mußt etwas unternehmen!
Doch in dem Augenblick, in dem dieser Entschluß bei ihm fiel, schien sich bereits ein neues Unheil anzubahnen …
***
Den Ehrenplatz hatte Hedwig Pauli von Anfang an: Den uralten Holzsessel, aus dem schon Vittorio Caprara, Giuliettas verstorbener Mann, die Familienfeste auf dem Mirtillo-Hof präsidiert hatte. Eine wahre Festung, das Möbelstück. Für die Ewigkeit gebaut.
An Ehrenplätze war Hedwig Pauli gewöhnt. Aber beileibe nicht an derart steife Lehnen, auch nicht an eine so hohe Sitzfläche.
Giulietta hatte ihr zwar ein Sitzkissen draufgelegt, aber langsam wurde es anstrengend. Ihr Kreuz schmerzte. Und diese ganze endlose, bardolinobefeuerte Fröhlichkeit ging ihr auf die Nerven.
Der reinste Betriebsausflug! Nur daß sie statt Blasmusik, wie sie sie beim fünfundsiebzigsten Firmenjubiläum ertragen mußte, einen italienischen Schrammerl-Sänger aufgefahren hatten. Der schnulzt dir nun die Ohren voll! Und die anderen toben.
Doch Hedwig Pauli war entschlossen, es durchzustehen. Alles. Daß man ihr läppische Salatblätter zu einigen mit Öltröpfchen besprenkelten Tomatenscheibchen servierte, während sich die anderen den Magen vollschlugen, daß dieser unsägliche Mensch aus Bad Wörishofen ständig ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen und sie dabei noch von den Anlagemöglichkeiten in seinem dämlichen Heilbad zu überzeugen versuchte, daß sie, wenn jetzt das Dessert kam, auch darauf verzichten mußte – selbst daß der Wein schmeckte wie flüssiges Sandpapier, es war hinzunehmen. Für den Wein war schließlich nicht dieses schwarzhaarige Urweib von Bäuerin verantwortlich zu machen. Die fand Hedwig Pauli eigentlich ganz nett. Nein, das Gesöff ging auf Schürmanns Konto. Der hatte die Kiste im Kofferraum des Mercedes über die Alpen geschleppt. Und jetzt hatte er sie sitzenlassen. Einfach so. Hatte sich mit einem dämlichen Gegrinse von ihrer Seite verdrückt.
Alles was recht ist – dies war nicht ihr Abend!
Grimmig zog Hedwig Pauli mit den Gabelspitzen Parallelstreifen ins Tischtuch.
Doch als sie die Augen wieder hochnahm, wurde ihr plötzlich klar, was es bedeutet, wenn das Herz ›stillsteht‹. Das tat es. Um dann wie ein verrückter Trommler loszulegen.
Es war nicht wahr!
Es konnte nicht wahr sein!
Vielleicht war es dieser schauerliche Wein, vielleicht der Zucker, Bluthochdruck oder ähnliches? Vielleicht die Schwüle? Oder die Augen spielten ihr einen Streich? Doch es änderte sich nichts.
Die Erscheinung blieb!
Dort, am anderen Ende des Tischs, stand sie, die Erscheinung. In blütenreinem Weiß gekleidet. Die Hände hatte sie auf die Stuhllehne der Schmidle-Tochter gelegt. Dort stand sie also und blickte über all die Windlichter und Köpfe zu ihr her.
Schlank. Hochaufgerichtet. Breite Schultern, schmale Hüften …
Auch das Leinenjackett – er hatte immer weißes Leinen getragen – vermochte die Perfektion seines Körpers nicht zu verbergen. Die dunklen Augen, das Grübchen am Kinn, die kühne Nase – er! … Einfach so! Aus dem Dunkel der Nacht, den Mondnebeln über dem See, hatte er sich materialisiert. Und er lächelte.
Benito!
»Benito …«, flüsterte Hedwig Pauli, und die Woge eines unendlich süßen und so lange entbehrten Glücksgefühls durchdrang sie: »Benito! Endlich …«
Sie versuchte aufzustehen.
Aber die Beine, dieser dämliche Stuhl … Jawohl – sie schaffte es! Ohne Stock.
Und da stand sie nun, hob zunächst den rechten, dann beide Arme, von denen
Weitere Kostenlose Bücher