Sommer, Sonne, Ferienglück
war auch nur halb korrekt. Die ›Pasta‹ ist nicht der Hauptgang, das stimmt schon, sondern ›il primo piatto‹, der ›erste Teller‹. Davor aber kommen die ›antipasti‹, die wirklichen Vorspeisen, die den Magen als Ouvertüre auf die große Oper einstimmen, die für die Italiener das Essen nun mal darstellt. So zahlreich sind die Antipasti, daß man von einem ganzen Vorspeisen-Universum reden kann: eingelegte Artischockenherzen, hauchdünne Scheiben roher Rinderfilets, jede denkbare Art von Wurst, der berühmte Parmaschinken mit Melone, Fischsalate … Sinnlos, mit dem Aufzählen auch nur anzufangen.
Dies ist der Mirtillo-Hof. Und er liegt am Gardasee, Regione Verona. Und so ist auch verständlich, daß Theos Speisekarte mit eingelegten Gardasee-Forellen beginnt. Wein- und Zitronenbeize ist mit Lorbeer angereichert und wurde von Giulietta getreu dem Rezept ihrer Mutter selbst komponiert. Doch nur Forellen – dies wäre unvollkommen. Also hat Giulietta als ›antipasti‹ noch zur Auswahl ihre Spezial-Peperonata, dann mit Parmesan überbackene Auberginen und Cavolfiore con acciughe, den Blumenkohl mit Sardellen, gegeben.
Dann? ›I1 primo piatto‹: die Pasta. Und zwar ›Stroh und Heu‹. – Wie bitte? – Jawohl, grüne und weiße, von einer schönen Sauce überträufelte Nudeln heißen in Italien nun mal ›paglia e fieno‹.
Und aus was besteht der Hauptgang? Zuerst hatte Theo an ›Saltimbocca alla romana‹ gedacht. Doch dann überzeugte ihn Giulietta von ›Coniglio alla zia‹, einem Kaninchengericht, das einst ihre Tante Rosa erfunden hatte. Und da Kalbfleisch nicht nur bei uns, sondern auch in Italien verdammt teuer ist und im großen Kaninchenstall des Mirtillo-Hofs sich eine Menge schlachtreifer Tiere tummelten, die Giulietta noch nicht unter die Leute bringen konnte, entschloß man sich dazu.
Das Rezept zu ›Coniglio alla zia‹? Ach, es ist wirklich zu kompliziert … Lassen wir es besser. Der gute Karl Plaschek hatte schon recht mit seinem: »Na, wat denn, wat denn, wenn ihr so weiterkocht, dann kocht ihr euch glatt in die Pleite!«
***
Die Milchstraße – quer über's Haus gespannt: Lichtpünktchen, wo man hinsah, Tausende von Galaxien, Myriaden von Sternen.
Darunter schwarze, flüsternde Kastanienkronen. Der Wind raschelte in ihnen, manchmal piepste ein verschlafener Vogel. Und unter den Kastanien, wo die Windlichter blasse Gesichter zärtlich erleuchteten, wurde es laut, ziemlich laut sogar …
Zu Anfang hörte man noch verklemmtes Geflüster, halbe Töne, abgewürgte Worte. Die Herren machten Verbeugungen, die Damen warfen die abschätzenden Blicke, die Damen nun mal überall auf dieser Welt auf andere Damen zu werfen pflegen.
Es war Herr Kienzle, der sich als erster mit einem Kompliment hervorwagte: »Ach, wissen Sie, wir zu Hause haben ja auch so viele Italiener. Das Essen ist dort meist vorzüglich. Und gesund, denn die nehmen ja Olivenöl … Und hier, auf so 'nem Bauernhof, da sitzt man gewissermaßen an der Quelle.«
So tastete man sich heran: – »Ach? Mit dem Flugzeug sind Sie gekommen? Wir haben den eigenen Wagen dabei. Kann ich nur empfehlen. Mal kulturell betrachtet, ist die Gegend hier ja wirklich einzigartig. Schon Goethe … ah, wie war das noch? Jedenfalls, daß wir hier gleich mal so unter Einheimischen sitzen und auch noch im Freien, statt im Speisesaal – gar nicht übel, wirklich nicht.«
Nicht übel vielleicht als Start … Aber doch ziemlich schleppend. – Theo schwitzte und hielt eine launige Rede, starrte dabei in befremdete Gesichter oder in solche, die ganz gerne fröhlich gewesen wären, wenn man nur wüßte, wie es die anderen aufnehmen würden?
»Mensch, Rosi, wie ick dat sehe, jeht dat in die Hose.« Karl Plaschek beugte sich bedrückt über seine Frau: »Der arme Theo.«
Und dann flitzte er wieder los, um das Bier anzuzapfen. »Wie soll denn eener von uns im Urlaub in Schwung kommen, ohne 'ne ordentliche Molle, Theo? Mit Wein läuft doch da jarnischts bei uns Deutschen.«
Karl Plaschek hatte sich getäuscht.
Gut, schon bei den ›antipasti‹, diesen einzigartigen, köstlich eingelegten Seeforellen, verzogen sich die ersten Münder in freudiger Verzückung. Der Fotograf ließ es sich nicht nehmen, sie zu fotografieren. Doch die Forellen schafften's auch nicht allein. Und auch nicht die Artischockenherzen, der eingelegte Paprika, die Auberginen und der Blumenkohl mit Sardellen.
Sicher, man stocherte nicht länger, man aß aus
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