Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
bemühten.
„Das ist mir nicht genug“, hatte sie gesagt. „Und dir auch nicht. Wir erzwingen das, und das sollten wir nicht müssen. Wenn es richtig ist, muss man es nicht erzwingen.“
Er hatte sie damit aufgezogen, dass sie heimlich eine Psychotherapeutin sein wollte, doch er hatte ihr zustimmen müssen.
Natalie behauptete immer, ihre Beziehungen zu anderen Männern funktionierten nicht, weil Ross ihren Kopf mit unerfüllbaren Erwartungen gefüllt hätte. Vor einiger Zeit hatte sie eine ernsthaftere Beziehung zu einem Musiker, doch wie bei allen anderen zuvor war auch die unweigerlich zerbrochen.
Jedes Mal wenn sie mit einem Mann Schluss machte, beschuldigte Ross sie, nur auf ihn zu warten.
„Du bringst mich noch mal um!“ Er zog eine Grimasse. „Wie viele Zurückweisungen kann ein einzelner Mann ertragen?“
„Von mir? Da sind nach oben keine Grenzen gesetzt. Wieso überhaupt die Eile? Die meisten Männer, die ich kenne, laufen so schnell sie können, wenn sie das Wort Hochzeit hören. Du hingegen klingst, als könntest du es gar nicht erwarten, dich niederzulassen.“
„Ich klinge nicht nur so – ich meine es auch!“ Er warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor er sich wieder auf die Straße konzentrierte. „Vor allem nach dem, was ich in den letzten zwei Jahren gesehen habe. Ich bin es leid, allein zu sein, Nat. Ich will jemandes Ehemann sein. Und irgendwann auch jemandes Vater.“
„Weil du deinen Vater in so jungen Jahren verloren hast“, sagte sie sanft.
„Vermutlich haben Sie recht, Dr. Sweet. Die glücklichste Zeit meines Leben war die, als ich klein und mit meinem Vater zusammen war.“
„Und jetzt möchtest du diese Zeit wieder aufleben lassen, indem du selber Vater wirst.“ Sie drehte den Senderknopf des Radios und blieb an einem ruhigen Song von Ingrid Michaelson hängen. „Ich sag dir das nicht gerne, aber vielleicht funktioniert es so nicht. Ich wünschte, das täte es, weil du es verdienst, Ross. Du verdienst eine Frau, die für die nächsten fünfzig Jahre dein Leben verzaubert, und dazu eine ganze Horde Kinder, um die du dir Sorgen machen kannst.“
„Vergiss nicht das Haus mit dem weißen Holzzaun“, sagte er mit einem leichten Lachen. „Und den Hund. Ich hatte noch nie einen Hund.“
„Okay, jetzt wirst du gierig.“ Sie drehte den Radioknopf erneut. Dieses Mal entschied sie sich für einen Rocksong mit dröhnendem Refrain, den er nicht kannte. „Das wurde aber auch langsam mal Zeit.“
„Was meinst du damit?“ Er drehte die Lautstärke herunter.
„Du hast dich immer nur um andere gekümmert. Jetzt ist es an der Zeit, dass du mal was nur für dich alleine willst.“
„Was ich will“, erklärte er, „ist, Granddad zu helfen. Ich will herausfinden, was wirklich mit ihm los ist.“ Er erzählte ihr, was er vom Gesundheitszustand seines Großvaters wusste.
Nat kamen die Tränen, und sie zerrte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche. „Verdammt! Das ist unfair! Ich kann dirgar nicht sagen, wie unfair ich das finde. Es tut mir so leid, Ross!“
„Danke.“
„Und er hat eine private Krankenschwester bei sich?“
„Offensichtlich.“
„Das klingt irgendwie sexy.“
„Um seinetwillen hoffe ich, dass es das ist.“
„Typisch Mann! Und was ist mit dem Rest deiner Familie? Warum bist du derjenige, der dem alten Knacker hinterherjagen muss?“
Weil er Granddad ist. Weil ich es nicht ertragen kann, ihn zu verlieren. „Alle denken, dass ich der Einzige bin, der ihm etwas Vernunft einimpfen kann. Ich denke, sie erwarten, dass er in die Stadt zurückkehrt, nachdem ich mit ihm gesprochen habe.“
„Und wenn nicht?“
„Dann wird die Zahl der Bellamys in dieser kleinen Stadt vermutlich rasant anschwellen. Ich kann immer noch nicht glauben, dass Granddad mir gegenüber nie seinen Bruder Charles erwähnt hat.“ Während Ross hastig eine Tasche für die Fahrt in die Catskills gepackt hatte, hatte seine Mutter ihm das Wenige erzählt, was sie über die Situation wusste. Charles Bellamy war ungefähr vier Jahre jünger als sein Großvater. Sie waren beide nach Yale gegangen. Und in dem Jahr, in dem Granddad seinen Abschluss gemacht hat, hatten sich ihre Wege getrennt und nie wieder gekreuzt.
„Wie ist Charles in Avalon gelandet?“
„Meine Mutter sagte, dass er ein Mädchen von dort geheiratet hat. Sie haben gemeinsam eine Art Camp oder Resort geleitet, das ihrer Familie gehörte. Den Herbst und Winter über wohnten sie in der Stadt, wo Charles als Anwalt
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