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Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens

Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens

Titel: Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Wiggs
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gearbeitet hat. Jetzt sind sie in Rente und leben das ganze Jahr über in Avalon. Das ist alles, was ich weiß.“
    Als sie die Grenze zu Ulster County überquerten und sich westlich in Richtung Catskills hielten, wurde er still. Er hatteAngst um seinen Großvater. Wenn die beiden Brüder so lange nicht miteinander gesprochen hatten, musste es dafür einen schwerwiegenden Grund geben. Wenn dieser Grund immer noch existierte, könnte seinem Großvater eine schmerzhafte Erfahrung bevorstehen.

6. KAPITEL
    B ei einem neuen Patienten anzufangen war für Claire immer ein wenig wie eine erste Verabredung, nur einseitiger. Und vielleicht war das Ergebnis nicht ganz so toll. Aber wie vor einem Date stellte sie fest, dass ihre Gedanken ständig um George kreisten. Sie wollte herausfinden, wer er war, wollte die Feinheiten seines Herzens entdecken. Irgendwie fühlte sie sich ihm tief verbunden – nicht auf eine romantische, sondern auf eine emotionale Weise. Diese Zuneigung wuchs sich immer mehr zu einem Gefühl der Vertrautheit aus. Sie fing an, seine Signale deuten zu können. Sie konnte sagen, wann er unruhig wurde oder sich nicht wohlfühlte, und sie erkannte auch, wann er zufrieden war.
    Er hatte einen ruhigen Tag gehabt, an dem er viel geschlafen und wenig gegessen hatte. Doch er hatte sie gebeten, ihn zum Abendessen ins Haupthaus zu begleiten. Kurz nach sieben ging sie nach ihm sehen, und er schien tief zu schlafen. Sie war versucht, ihn schlafen zu lassen, aber er hatte ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass er das Abendessen auf keinen Fall verpassen wollte. Er war fest entschlossen, heute Abend stilvoll zu dinieren.
    „George.“ Sie berührte ihn sanft an der Schulter. „George, aufwachen. Es ist Zeit, sich fürs Dinner fertigzumachen.“
    Sein Gesicht war ganz weich und sanft, als befände er sich inmitten eines wunderschönen Traums. Er seufzte und blinzelte langsam. Sie sah, wie er sich vorsichtig orientierte. Da war das Fenster mit Blick auf den See. Der Nachttisch mit den Medikamenten. Der Alarmknopf, mit dem er sie jederzeit rufen konnte.
    „Haben Sie immer noch Lust, essen zu gehen? Wenn nicht, kann ich Ihnen auch gerne ein Tablett …“
    „Nein. Ich habe genug davon, mich wie ein Invalide zu benehmen. Bei all der frischen Luft und dem Sonnenschein fühleich mich schon viel besser.“
    Sie nickte. „Es ist Viertel nach sieben. Wir haben einen Tisch für acht Uhr reserviert.“
    „Bis dahin werde ich fertig sein.“
    In dem in Leder gebundenen Gästeführer in Claires Zimmer wurde die Bitte geäußert, dass die Gäste sich für das Abendessen im Haupthaus angemessen kleideten. Ein zwangloses Abendessen wurde woanders auf dem Anwesen angeboten, doch der Starlight Dining Room war für edle Speisen und Tanz gedacht.
    Sie war sich nicht ganz sicher, was angemessen hier bedeutete. Dieses elegante Resort war eine ganz neue Welt für sie. Seit dem Ende der Krankenschwesternschule und ihrer Spezialausbildung hatte sie einige Kunden betreut, aber niemals jemanden, der George Bellamy auch nur im Entferntesten ähnelte.
    Sie entschied sich für ein beigefarbenes, schlichtes Kleid und Schuhe mit mittelhohen Absätzen. Ihr Haar steckte sie auf einer Seite mit einem Schildpattkamm zurück und legte ein wenig dezentes Make-up auf. Ihr Aufzug war nicht glamourös. Er war … unauffällig, und das war das Ziel. Während einige Menschen ihr Leben lang danach strebten, sich über den Durchschnitt zu erheben, war Durchschnitt genau das, was sie wollte. Menschen erinnerten sich an die Extreme, und sie wollte eine Frau sein, die jeder vergaß. Die Frau in der Versicherungsagentur, die einem half, ein Antragsformular auszufüllen. Die Taxifahrerin. Die Mathelehrerin, nicht die Kunstlehrerin. Die Küchenhilfe, nicht der Chefkoch. Als sie sich in dem innen an der Badezimmertür angebrachten Spiegel betrachtete, überließ sie sich kurz einer wehmütigen Fantasievorstellung. Nach dem Tod ihrer sprunghaften Mutter, als sie bei verschiedenen Pflegefamilien gelebt hatte, war dies ihr Lieblingsmärchen gewesen: Aschenputtel. In jedem Mädchen steckte irgendwo der Wunsch nach einer dramatischen Verwandlung. Es handelte sich natürlich um eine Metapher: DieMacht von Aschenputtels Güte verwandelte all das Übel, das sie heimsuchte, in etwas Gutes. Und die Verwandlung musste groß sein. Ein Mädchen wollte von der Tellerwäscherin zur Millionärin werden – nicht von der Tellerwäscherin zur durchschnittlichen Vororthausfrau.
    Nur ein

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