Sommer unter dem Maulbeerbaum
Sie brach ab und beugte sich über den Katalog.
»Sie haben was zu ihm gesagt?«
»Dass. Sie wie eine Glühbirne waren, die nur anging, wenn Jimmy in der Nähe war.«
Was sie da sagte, gefiel mir nicht. Ganz und gar nicht. Es ließ mich so ... so unbedeutend erscheinen, als ob ich überhaupt kein eigenständiger Mensch wäre. »Und was haben Sie nun vor?«, fragte ich und ließ meine Stimme so kühl wie möglich klingen.
Sie deutete meinen Tonfall richtig. »Ich finde, wir schulden Ihnen etwas für Ihr Hochzeitsgeschenk an Phillip und mich. Da hab ich mir überlegt, dass wir Ihnen doch ein paar neue Kleider bestellen könnten und was Sie sonst noch so für Ihr neues Leben brauchen. Wir lassen die Rechnungen an Phillip schicken. Er kann es sich leisten.« Sie senkte die Stimme. »Er wird als einer der Anwälte für Atlanta und Ray fungieren.«
Bei dieser Neuigkeit fiel mir der Unterkiefer herunter. Ich zuckte zusammen, weil meine neue, kleinere Nase bei der Bewegung schmerzte. Ich wollte aufschreien: »Der Verräter!«, tat es aber nicht. »Helfen Sie mir auf die Sprünge. Was haben Jimmy und ich Ihnen zur Hochzeit geschenkt?«
»Dieses Haus hier«, antwortete Carol.
Einen Augenblick lang konnte ich nichts sagen und musste mich abwenden, damit sie meine Augen nicht sah. Er schenkte seinem Anwalt ein Haus, einem Mann, den er für seinen Freund hielt, und jetzt würde dieser so genannte Freund für den Feind arbeiten. Ich nahm mir einen Katalog. »Haben Sie auch einen mit Schmuck? Ich brauche eine neue Armbanduhr.“
Carol lächelte mir zu und ich lächelte zurück. Ich hatte eine Freundin gefunden.
2. KAPITEL
Phillip sah zu, wie Lillian aus dem Auto stieg und langsam auf das Haus zuging. Auch wenn sie beim ersten Anblick des Besitzes für einen kurzen Moment in Tränen ausgebrochen war, fand er, dass sie sich tapfer hielt. Wenn man bedachte, was sie durchgemacht hatte, dann hielt sie sich sogar extrem tapfer. Ungläubig schüttelte er den Kopf und dachte daran, was er alles unternommen hatte, um diesen Augenblick zu verhindern. Er und drei seiner Mitarbeiter hatten zwei Nachmittage und einen Vormittag mit dem Versuch zugebracht, sie zu überreden, James Manvilles Testament anzufechten - ein Testament, das Phillip immer mehr als unmoralisch und möglicherweise illegal betrachtete.
Allerdings hatte er nicht immer so empfunden. Als James ihm gesagt hatte, was er in sein Testament aufnehmen wollte, hatte Phillip die Augenbrauen hochgezogen. Er hatte es nicht gewagt, James gegenüber verlauten zu lassen, was er dachte: dass James offenbar dahintergekommen war, dass seine junge Frau sein Geld nicht verdiente, dass sie womöglich eine Affäre hatte. Doch anstatt seine Vermutung laut auszusprechen, hatte Phillip versucht, James davon abzubringen, eine Lawine jahrelanger Rechtsstreite loszutreten. Es kam ihm nicht ein einziges Mal in den Sinn, dass James’ Witwe das Testament nicht anfechten könnte. Phillip empfahl James, wenn er unbedingt seinen Geschwistern etwas hinterlassen wollte, das Vermögen durch drei zu teilen. Es war genug für alle da.
Doch James schien Phillip gar nicht zu hören. Seine einzige Sorge war gewesen, wie er sicherstellen konnte, dass Lillian irgend so ein Farmhaus in Virginia bekam. »Ihr wird es dort gefallen«, sagte James in einem seiner seltenen bekenntnisfreudigen Momente. »Ich habe sie um vieles betrogen und auf diese Weise kann ich es ihr wiedergeben.«
Für Phillip bedeutete, eine Frau um Milliarden Dollar zu bringen, nicht, ihr etwas zurückzuzahlen; es erschien ihm mehr als Strafe. Doch er hielt den Mund.
Erst als Phillip nach James’ Tod den wahren Charakter von Atlanta und Ray erkannte, wollte er, dass Lillian sich zur Wehr setzte. An der Spitze eines Teams aus den gewitztesten, trickreichsten Anwälten der Vereinigten Staaten wollte er diesen beiden gierigen Stinktieren jeden Penny wieder wegnehmen. Phillip hatte noch nie so etwas erlebt wie das, was man Lillian in den Wochen nach James’ Tod angetan hatte, sowohl von Seiten der Medien als auch von den Menschen, die er für James’ Freunde gehalten hatte.
Doch Lillian blieb stur. Nichts, was irgendjemand sagte, konnte sie dazu bewegen, Klage einzureichen. Phillip und die anderen Anwälte machten ihr klar, dass sie das Geld ja der Wohlfahrt spenden könnte, nachdem man es ihr zugesprochen hatte, doch selbst das änderte ihre Meinung nicht.
»Jimmy war in Geschäftsdingen sehr gerissen«, sagte sie. »Er hat es aus
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