Sommer unter dem Maulbeerbaum
Begriff war, ein Kind zu adoptieren, da konnten sie das doch wohl kaum zulassen, oder?«
»Ein Erbe«, sagte Matt.
»Genau.« Martha sah Bailey an. »Ihre Schwester hat bei der Beerdigung Ihrer Mutter erfahren, dass Sie nichts davon wussten, dass Luke das Einverständnis Ihrer Mutter für Ihre Heirat eingeholt hatte. Und Dolores war klar, dass Sie, wenn Sie nichts von dem Dokument wussten, glauben würden, Sie und Luke wären nicht rechtmäßig verheiratet. Schämen Sie sich! Wie konnten Sie nur denken, jemand wie Luke würde so etwas Wichtiges übersehen?«
»Als ich Jimmy heiratete, habe ich nicht groß über rechtliche Dinge nachgedacht«, verteidigte sich Bailey.
»Also haben Atlanta und Ray mit Dolores gemeinsame Sache gemacht?«, fragte Matt.
»Nein, ich glaube nicht, dass Dolores es mit diesen beiden aufnehmen konnte, aber sie hatte ein großes Mundwerk. Verzeihen Sie, meine Liebe, aber man musste sie nur dazu bringen, über ihre jüngere Schwester zu sprechen, und Dolores erzählte jedem alles.«
»Sie berichtete Alex von der Einverständniserklärung, nachdem sie ihn erst einen Tag kannte«, sagte Matt.
»Ja, und das kostete sie das Leben«, ergänzte Martha.
»Haben Atlanta und Ray das getan?«, wollte Matt wissen.
»O ja. Genauso wie sie Luke und seinen Anwalt getötet haben, haben sie auch Lillians Schwester getötet. Ich habe mich sehr bemüht, Lukes Vergangenheit zu schützen, damit die Welt nichts darüber erfuhr. Also habe ich auch nach Lukes Tod geschwiegen. Es fiel mir schon schwerer, nachdem dieser Anwalt starb und zwei kleine Kinder zurückließ. Wie geht es seiner Frau?«
»Es hat sie schwer getroffen«, erwiderte Bailey.
»Ja. Luke hat mir erzählt, dass sie eine gute Ehe führten.«
»Sie sagen immer, er hätte es Ihnen erzählt«, sagte Bailey. »Hat er Sie denn angerufen?« In ihrer Stimme schwang eine Spur von Eifersucht mit. Jimmy war zwar mit einer Menge Frauen ins Bett gegangen, doch Bailey hatte es ertragen, weil sie wusste, dass er mit keiner Frau redete, außer mit seiner eigenen.
Mit einem Lächeln wies Martha auf einen Schrank an der hinteren Wand. Er war groß und aus gewachster Kiefer. Bailey bezweifelte, dass er weniger als 100 000 Dollar gekostet hatte. Sie öffnete die beiden Türen und sah hinein. Die Regalbretter waren angefüllt mit hübschen, mit pfirsichfarbener Seide überzogenen Schachteln. Sie alle waren mit einem datierten Messingschild versehen; jede Schachtel erfasste einen Zeitraum von etwa sechs Monaten.
»Nur zu«, forderte Martha sie auf. »Öffnen Sie sie.«
Bailey zog eine Schachtel heraus, nahm den Deckel ab und sah hinein. Ordentlich aufgereiht befanden sich dort drinnen Briefe, alle in Umschlägen von Jimmys mit seinem Monogramm bedrucktem, grünem Briefpapier.
»Ein Brief und ein Foto«, erklärte Martha leise. »Seit
Juli 1978 schickte er mir jede zweite Woche einen Brief und ein Foto. Außerdem sorgte er dafür, dass mein Konto immer voller Geld war. Und übrigens, meine Liebe, Jimmy wurde 1954 geboren, nicht 1959-Er war so stolz auf sein neues Gesicht, dass er ein paar Jahre von seinem Alter abgezogen hat.«
Bailey nahm einen der Briefe heraus und las.
Als ich gestern Abend nach Hause kam, war Sprösschen schrecklich sauer auf mich. Aber ich habe ihre Laune schnell verbessert. Sie hat während meiner Abwesenheit vier Pfund abgenommen, also habe ich den Koch veranlasst, den Schokoladencremekuchen zu backen, den sie so gerne mag. Ich weiß, ich bin ein Teufel, aber ich mag sie lieber mollig. Auf diese Weise gehört sie nur mir.
Bailey faltete den Brief wieder zusammen und steckte ihn in seinen Umschlag zurück. Doch sie konnte es sich nicht verkneifen, das beiliegende Foto herauszunehmen und es sich anzusehen. Es war ein Bild von ihr, wie sie auf der Terrasse ihres Hauses in Antigua in einem Sessel saß. Um sie herum standen ein Dutzend anderer Leute, alle mit einem Drink in der Hand, die über irgendetwas lachten.
Inmitten all dieser Leute war Bailey allein, und ihr Gesicht spiegelte ihren Trübsinn. Kein Wunder, dass sie mich so wenig leiden konnten, dachte sie. Dann sah sie quer durch den Raum zu Matt hinüber. Heute bin ich viel glücklicher, ging es ihr durch den Kopf, während sie das Foto in seinen Umschlag gleiten ließ. Den legte sie wieder in die Schachtel, stellte sie an ihren Platz zurück und schloss energisch die Schranktür. Dieser Teil ihres Lebens war vorüber. James Manville hatte sich nicht das Leben genommen, weil
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