Sommer unter dem Maulbeerbaum
wurde reich. Sie sollten mal rüberfahren und sich die Stadt ansehen. Sie hat« - sie zuckte verächtlich mit den Augenbrauen - »Boutiquen. Schicke Läden, die kleine Seifenstücke in Herzform führen. Und Geschäfte mit Klamotten, die mehr kosten, als ich in einem ganzen Jahr verdiene. Sie haben sogar den Namen der Stadt geändert in Welborn. Ist das nicht reizend?«
»Welborn?«, wiederholte Bailey nachdenklich.
»Genau.«
»Ich glaube, davon habe ich schon mal gehört. Gibt es da nicht irgendwas? Etwas, das Touristen anlockt?«
Violet stopfte sich den Mund voll mit Erbsen und Mais. »Eiße Wellen», sagte sie.
»Was?«
Sie schluckte. »Sie haben ein paar heiße Quellen dort, aber ...«
»Ja! Natürlich!«, rief Bailey. »Die heißen Quellen von Welborn. Viele Leute gehen dorthin. Ich habe gehört, es soll traumhaft sein. Ich wollte auch hinfahren, aber Jimmy ...« Sie verstummte.
»Ist das Ihr verstorbener Mann?«
Bailey nickte. Jimmy hatte sich immer geweigert, zu den heißen Quellen in Virginia zu fahren, auf die einige der Leute in ihrem Bekanntenkreis schworen. Lady Soundso hatte behauptet, die Quellen hätten sie vollständig von ihrer Arthritis geheilt. Bailey hatte gehofft, ein paar Tage im heißen Wässer würden Jimmy helfen, sich zu entspannen, aber er wollte nichts davon hören. Dass er partout nicht hinfahren wollte, war so ungewöhnlich, dass Bailey ihn nach dem Grund gefragt hatte. Sein Gesicht hatte sich für einen Moment verfinstert. Dann hatte er gelacht und gesagt, wenn sie heiße Quellen wollte, würde er mit ihr nach Deutschland fahren oder an einen exotischen Ort. »Aber nicht in den hintersten Winkel von Virginia«, hatte er hinzugefügt, sie auf den Arm genommen und herumgewirbelt. Dann hatte er ihren Nacken liebkost und es geschafft, dass sie keine weiteren Fragen stellte.
»Jemand zu Hause?«, fragte Violet.
»Oh, Verzeihung«, entschuldigte sich Bailey. »Ich habe mich gerade an etwas erinnert. Hören Sie, ich muss jetzt gehen. Ich muss noch ...«
»Diesem athletischen, gut aussehenden Matt Long das Abendessen machen. Schlaft ihr zwei schon miteinander?«
»Sooft es geht«, erwiderte Bailey und stand auf. »Wir sind wie die Kaninchen.«
Violet kicherte. Dann lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück und besah sich die vielen Gläser mit Tomaten, die Bailey eingekocht, und das Hühnchen mit Gemüse, das sie zubereitet hatte. »Kommen Sie ruhig wieder, wann immer Sie etwas wissen wollen.«
»Das nächste Mal nehme ich einen zweiten Koch mit«, sagte Bailey und brachte Violet damit noch mehr zum Lachen.
»Warten Sie einen Augenblick«, rief Violet und hievte sich vom Stuhl. »Sie haben sich so anständig verhalten, ich hab da was für Sie.«
»Kein Marihuana!«, sagte Bailey wie aus der Pistole geschossen.
»Haben Sie Angst, Sie könnten dann alle Hemmungen verlieren und tatsächlich anfangen, sich mit diesem Muskelprotz herumzuwälzen, der bei Ihnen einzieht?«, fragte Violet, während sie ihr ein ramponiertes Taschenbuch hinhielt.
»Ich habe eher Angst vor einer Gefängnisstrafe«, entgegnete Bailey, nahm das Buch und sah es sich an. Die Goldenen Sechs von T. L. Spangier, heiß es auf dem Einband. Waren sie ruhmreiche junge Männer oder die Anstifter eines großen Schwindels?, stand da zu lesen. Entscheiden Sie seihst.
»Nehmen Sie es mit und lesen Sie es«, forderte Violet sie auf und ihre Augen funkelten. »Es gibt Ihnen vielleicht was zu tun, wenn Sie nachts allein im Bett liegen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ihre Generation ist verrückt. Zu meiner Zeit haben wir ...«
»Kein Aids und keinen Herpes gehabt, und auch keine Moral, soweit ich das beurteilen kann«, bemerkte Bailey freundlich.
Violet war nicht beleidigt. »Dieser Matt Longacre könnte selbst eine Nonne ihre Gelübde vergessen lassen.«
»Ich werde daran denken, bevor ich meine ablege«, sagte Bailey und stieß die Tür auf. Violets Lachen brachte sie zum Schmunzeln, doch dann bemerkte sie, dass Violet einen eigenartigen Ausdruck auf ihrem Gesicht hatte. »Stimmt etwas nicht?«, fragte sie und wischte sich mit der Hand über die Wange.
»Nein«, antwortete Violet. »Ich hatte nur für einen Moment das Gefühl, Sie schon einmal gesehen zu haben. Macht wahrscheinlich das Gras. Gehen Sie jetzt heim, und kümmern Sie sich um diesen Mann.«
Lächelnd verließ Bailey das Haus. Draußen angekommen blickte sie zu den schattigen Bäumen hinauf. Violet Honeycutt war faul, berechnend, stand mit einem Bein im
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