Sommer unter dem Maulbeerbaum
Einzelheiten erinnern, aber ihre Tante hat ihr erzählt, dass die Frau eine Affäre mit einem Mann an ihrer Arbeitsstelle anfing. Und als sie ihrem Ehemann sagte, sie würde sich scheiden lassen und er müsse von der Farm weg, da ging der arme Kerl in die Scheune und erhängte sich.«
Mit der Zange in der Hand hielt Bailey inne. »In meiner Scheune?«
»Genau. Hab doch gesagt, es würde Ihnen nicht gefallen.«
Ein paar Minuten lang schob Bailey das Hühnchen im heißen Fett hin und her und dachte über den armen Mann nach. Sie hatte schon gespürt, dass jemand, der die Farm wirklich liebte, dort vor ihr gelebt hatte. Durch seine Heirat hatte der Mann einen wunderschönen Ort gefunden, an dem er die Dinge anbauen konnte, die ihm am Herzen lagen. Er hatte seine Erzeugnisse sogar verkaufen können. Doch dann hatte er erfahren müssen, dass ihm all dies von seiner treulosen Frau wieder genommen werden sollte. Und wenn er wirklich einfältig war, konnte er nicht darauf hoffen, jemals genug zu verdienen, um sich seine eigene Farm kaufen zu können. Es war tatsächlich eine schreckliche Geschichte.
Als Bailey stumm blieb, sagte Violet: »Sie sollten es nicht so schwer nehmen. Mit allen diesen alten Häusern sind Geschichten verbunden. Ein paar Jahre, bevor mein Mann diese Farm hier kaufte, ließ sich der alte Knabe, dem sie gehörte, eine Kettensäge auf den Fuß fallen. Trennte ihn vollständig ab.«
»Aber Selbstmord sagte Bailey leise, während sie zur Arbeitsplatte neben der Spüle hinüberging und die Dichtungen an den Tomatengläsern überprüfte. Außer zweien waren alle Deckel abgesunken und ließen so erkennen, dass sie dicht waren.
»So etwas passiert nun mal. Und, wie ich schon sagte, es ist lange her. Wer weiß? Vielleicht war er ja krank oder so was. Man weiß nie, was in einem Menschen vorgeht.«
»Und was ist danach geschehen?«, fragte Bailey und ging zurück zum Herd, um nach dem Hühnchen zu sehen.
Violet lachte leise. »Gladys sagt, nachdem der Mann der Frau sich das Leben genommen hatte, hat sie sich ihre Kinder geschnappt und ist aus der Stadt weggezogen. Gladys meint, ihre Tante hätte so eine Andeutung gemacht, der Mann, den sie heiraten wollte, hätte schon eine Frau gehabt. Also hat er ihr vermutlich gesagt, er würde sie am Ende doch nicht heiraten. Oder vielleicht ist er ausgeflippt wegen dem Selbstmord. Wer weiß?«
»Hat sie die Farm verkauft?«
»Das hab ich Gladys auch gefragt, aber sie wusste es nicht«, antwortete Violet. »Gladys sagt, die Farm hätte ihr ganzes Leben lang leer gestanden. Aber das ist in Calburn nicht ungewöhnlich.«
»Diese Stadt ist wirklich leer, nicht?«, bemerkte Bailey. Sie zog Schubladen auf, um nach Papiertüchern zu suchen, auf denen sie das Huhn abtropfen lassen konnte, doch es war nichts da. Die Hälfte der zahlreichen Schubladen war mit leeren Butterbrottüten angefüllt, einige davon schon recht alt. Können Butterbrottüten den Status von Antiquitäten erlangen?, überlegte sie. In der Vorratskammer fand sie schließlich ein paar Papierservietten mit dem Aufdruck: »Viel Glück zum Geburtstag, Täubchen« und nahm sie mit in die Küche. »Bewahren Sie die aus sentimentalen Gründen auf?«, fragte sie.
»Wenn es sentimental ist, etwas umsonst zu kriegen, dann ja.«
Bailey spülte eine angeknackste Fleischplatte ab,
bedeckte sie mit den Servietten und legte dann das Hühnchen und die Kartoffeln zum Abtropfen darauf.
»Warum steht denn nun halb Calburn leer?«, wollte Bailey wissen, während sie Maispüree und Erbsen -die sie in Behältern in der Vorratskammer gefunden hatte - sowie Bratkartoffeln und Hühnchen auf einen Teller gab und ihn Violet reichte.
»Sie dürfen mir gerne Gesellschaft leisten«, sagte Violet und wies auf den leeren Stuhl ihr gegenüber.
Bailey sah auf das Essen hinunter. Sie wusste, wenn sie einmal anfing zu essen, würde sie nicht mehr aufhören. Was war nur an den Speisen der Kindheit, das sie so unwiderstehlich machte? Doch sie kannte auch den Kaloriengehalt einer solchen Mahlzeit. »Nein danke«, sagte sie und setzte sich auf den Stuhl. »Erzählen Sie mir von Calburn.«
»Das ist einfach«, erwiderte Violet, den Mund voll Hühnchen. »Neue Autobahn. Es ging darum, ob die Autobahn durch Wells Creek verlaufen würde oder hier. Ich glaube, jemand hat jemand anderem eins ausgewischt, und Calburn hat verloren. Ein Jahr nachdem die Autobahn fertig war, war aus Calburn beinahe eine Geisterstadt geworden, und Wells Creek
Weitere Kostenlose Bücher