Sommer unter dem Maulbeerbaum
ihm hin. »Probier mal.«
Matt schloss die Augen, während er die cremige Substanz kostete. »Wie?«, hauchte er nur.
»Ich habe eine ganze Vanillestange genommen. Das verstärkt den Geschmack. Aber genug davon. Jetzt fang mit deiner Geschichte an.«
»Okay, wo war ich?« Er leckte noch einmal über den Löffel. »Ich hatte gerade Examen in Architektur gemacht. Als Bester meines Semesters.«
»Ich bin beeindruckt.«
»Deshalb hab ich’s ja auch erwähnt«, meinte Matt. »Hätte man mir nicht so viele Auszeichnungen verliehen und so viele tolle Jobangebote gemacht, wäre ich vielleicht nicht so von mir eingenommen gewesen. Und wenn ich nicht so viele Angebote bekommen hätte, wäre ich nicht so verächtlich damit umgegangen und hätte vielleicht eins in St. Louis oder Minneapolis angenommen. Ich hätte in einem Büro gearbeitet und etwas gelernt. Aber ich hab keinen dieser Jobs angenommen und nichts gelernt - jedenfalls nichts über Architektur. Nein, ich wollte etwas ganz Eigenes schaffen mit meinen Entwürfen für Privathäuser. Bürogebäude kamen für Matthew Longacre nicht in Frage. Am Ende nahm ich eine Stellung bei einem schwerreichen Mann auf Long Island an, alter Geldadel, schon seit Generationen. Ich sollte ein Schmuckkästchen von einem Haus für seine einzige Tochter Cassandra bauen, die im darauf folgenden Frühjahr Carter Haverford Norcott den Dritten heiraten wollte. Ich hatte mir vorgestellt, wenn ich ein wirklich schönes Haus für ihn errichtete und man es bei einer riesigen, teuren Hochzeit bewundern konnte, dann würde ich weitere Aufträge erhalten, und immer mehr und mehr.«
»Aber stattdessen bist du mit der Braut durchgebrannt.«
Matt ließ sich mit der Antwort Zeit. »Die Ironie an der ganzen Sache ist, dass ich sie eigentlich gar nicht wollte. Genau genommen hatte ich sie nie richtig zu Gesicht bekommen. Ich wollte so ein Leben führen. Meine ...«, er zögerte, »... meine Mutter stammte aus so einer Familie. Als sie mit meinem Vater durchbrannte, wurde sie von ihrer Familie enterbt. Noch Jahre später, sogar nachdem mein Vater sie verlassen hatte und meine Mutter kellnerte und auch sonst jeden Job annahm, mit dem sie ihre beiden Kinder ernähren konnte, hatte sie ...» Matt wandte sich ab, und Bailey konnte den Zorn auf seinem Gesicht sehen.
»Sie hatte Format«, ergänzte Bailey.
»Ja. Meine Mutter besaß Format.«
Bailey beobachtete ihn, wie er seinen Löffel in die Hand nahm und hin und her drehte. »Und du wolltest auch dieses Format besitzen.«
»Ja, das wollte ich.«
Mit einem Becher Tee in der Hand setzte Bailey sich ihm gegenüber und nahm sich eine Scheibe Vollkorntoast. »Wann hast du also die Tochter, Cassandra, kennen gelernt?«
»Am dritten Tag nach meiner Ankunft. Sie traf mich mit einem Tennisball und ich fiel in einen Fischteich.«
Bailey trank drei Tassen Tee, während sie Matts Geschichte lauschte, und füllte seine Tasse viermal nach. Sie schnitt Erdbeeren und Bananen in Scheiben und gab Sahne darüber, dann schob sie Matt die Schüssel hin, während er weiterredete.
Sie lauschte seinen Worten, achtete aber ebenso sehr auf die Eindringlichkeit, mit der er sprach. Er ist ein Mensch, der zu tiefen Empfindungen fähig ist, ging es ihr durch den Kopf. Er war bemüht, diese
Zeit, die ihn Jahre seines Lebens gekostet hatte, zu bagatellisieren, doch die weißen Knöchel, mit denen er den Griff seiner Kaffeetasse gepackt hielt, verrieten ihn.
Er erzählte davon, wie eine hoch gewachsene, schlanke, blonde Schönheit in Tenniskluft ihm die kalte Schulter gezeigt hatte. Sie hatte sich auf dem Tennisplatz mit ihrem überzüchteten Verlobten Carter Haverford Norcott dem Dritten gestritten und dann den Tennisball dem Architekten ihres neuen Heims vor den Hinterkopf geknallt. Dabei hatte sie Matt aus dem Gleichgewicht gebracht und in den Fischteich befördert.
»Wenn sie sich nicht mit Carter gezankt hätte-, fasste Matt zusammen, »dann bezweifle ich, dass sich alles Weitere so abgespielt hätte. Aber da saß ich nun, mitten im Fischteich, fünfundzwanzig Jahre alt, in einem nassen T-Shirt, und machte den schmächtig kleinen Carter neidisch.«
Matt berichtete, an diesem Tag habe er etwas in Cassandras Augen gesehen, das ihn tief in seinem Inneren bewegt hätte. »Jahre später entschied ich, dass ich mir das alles nur eingebildet hatte, aber für einen kurzen Augenblick glaubte ich, etwas in ihren Augen zu sehen, das ...
... nach Rettung schrie«, ergänzte
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