Sommer unter dem Maulbeerbaum
jahrelang ununterbrochen gearbeitet hatte, nur um Geld zu verdienen. Er hatte kein Privatleben, nur die Arbeit. Doch es war ihm gelungen, Cassandra ihren Country Club zu finanzieren, ihr großes Haus, ein Leben voller Müßiggang. Ihm verblieben die Rechnungen und der Stress.
»Was hat dich denn nun am Ende zur Vernunft gebracht und zur Scheidung veranlasst?«
»Ich hatte einen Herzanfall«, erwiderte Matt mit einem Lächeln. »Jedenfalls dachte ich das. Im Krankenhaus sagte man mir, es seien nur Verdauungsbeschwerden, und ich solle nach Hause gehen und nicht länger ihre Zeit verschwenden. Aber der Schock saß tief genug, dass ich noch einmal neu anfangen wollte. Ich kam am frühen Nachmittag nach Hause, etwas, das ich sonst nie tat, und ...«
»Und was?«
»Cassandra saß in der Badewanne, mit Carter. Ich stand da und sah die beiden an, und alles, was mir in den Sinn kam, war: Ich habe diese Wanne bezahlt und noch keine Zeit gehabt reinzusteigen. Und dann fing ich an zu lachen. Ich war so erleichtert. Jetzt konnte ich sie ohne Schuldgefühle loswerden. Ich sagte: >Haben wir so nicht auch angefangen?- Und dann sagte Carter: -Hören Sie, Longacr ...<
-Nein, bleiben Sie bitte sitzen-, erwiderte ich. -Machen Sie ruhig weiter. Fühlen Sie sich wie zu Hause.- Als ich mich umdrehte und hinausging, hörte ich, wie Cassandra sagte: -Keine Angst. Er wird schon zu-rückkommen. Er vergöttert mich.« Ab dem Moment war ich wirklich und wahrhaftig frei.»
Matt berichtete Bailey, wie er sein hochkarätiges Architekturbüro aufgab, alles verkaufte, was er besaß, seine beträchtlichen Schulden bezahlte, seiner Exfrau die Hälfte von dem gab, was übrig blieb, und dann nach Calburn zurückkehrte.
»Und was jetzt?«, fragte sie leise.
»Jetzt möchte ich gern herausfinden, wer ich wirklich bin. Es war eine ganze Menge Gewissenserforschung nötig, aber ich habe eingesehen, dass ich mich zum Teil nur deshalb zu Cassandra hingezogen fühlte, weil ich eine Familie wollte. Ich bin zu einer Zeit ohne Vater aufgewachsen, als das Leben mit einer allein erziehenden Mutter meinem Bruder und mir nur allgemeines Mitleid beschert hat.«
»Und jetzt, wo du wieder hier bist?«, erkundigte sich Bailey sanft.
»Ich bin mir noch nicht sicher, aber langsam kommen mir einige Ideen«, antwortete er, und seine Augen blickten tief in ihre.
Zum zweiten Mal an diesem Tag wusste Bailey nicht, warum sie sich ihm entzog, aber sie tat es. »Wie wär’s mit einem Nachschlag Dutch Baby?«, fragte sie und stand vom Tisch auf. Was ist bloß los mit mir?, dachte sie. Warum nehme ich nicht an, was dieser attraktive Mann mir anbietet? Ist es vielleicht, weil Jimmy immer dazwischenstehen wird?
»Also: Was willst du heute machen?«, wollte Matt wissen. »Es ist Sonntag, keine Arbeit. Womit kann ich also dienen?«
»Ich möchte nach Indien fliegen und den Tadsch Mahal noch einmal sehen«, sagte Bailey in dem Bemühen, einen Scherz zu machen, doch Matt lachte nicht. Er schaute sie nur an und Bailey wandte ihr
Gesicht ab. »Ich möchte weiter an der Veranda arbeiten«, erklärte sie. »Und ich möchte diese Küche hier auf Vordermann bringen.«
»Wird gemacht«, versprach Matt, doch er sah sie immer noch eindringlich an.
11. KAPITEL
Sechs Wochen später
Bailey schob den Salat in der großen Holzschale hin und her und blickte finster darauf. Es war nicht so, dass er nicht schmeckte. Es waren Mandarinenstückchen aus der Dose darin und gehackte Mandeln, doch die Salatblätter waren frisch. Zu trinken hatte sie Eistee mit einem Spritzer Himbeersaft. Alles in allem war es kein schlechtes Mittagessen, doch sie hatte keinen Appetit.
Ständig blickte sie auf den Immobilienprospekt, der neben ihr auf dem Tisch lag. »Die Immobilie wurde vor zwei Tagen verkauft«, hatte der Makler ihr mitgeteilt, als sie vor einer Stunde nachgefragt hatte.
Sie saß ganz allein in einer Nische eines reizenden kleinen Restaurants in Welborn und nahm ein verspätetes Mittagessen zu sich. Gleichzeitig versuchte sie herauszufinden, was mit ihr nicht stimmte. Jimmy pflegte zu sagen: -Du wirst wieder unruhig, Sprösschen, nicht wahr?< Dann entführte er sie gewöhnlich in null Komma nichts an einen wundervollen Ort. Doch Jimmy war nicht mehr da, und es gab auch kein Geld mehr, mit dem sie irgendwohin fahren konnte.
Sie sah wieder auf den Prospekt. Es zeigte ein hübsches Farbfoto von dem Geschäft drei Häuser weiter. Es war kein großer Laden, und er war auch nicht besonders
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