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Sommer wie Winter

Sommer wie Winter

Titel: Sommer wie Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith W. Taschler
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überprüft worden, das mit der Auswanderung? So was kann man doch überprüfen, an den Flughäfen oder Grenzübergängen oder in den Schiffshäfen? Ich habe mir gedacht, arbeitet da die Polizei nicht zusammen mit der von anderen Ländern in so einem Fall? Und wieso bin ich nicht zu Verwandten gekommen, zu den Großeltern zum Beispiel oder zu einer Tante?
    Ich wollte sie einfach finden, das war alles, ich wollte sie so schnell wie möglich finden, damit ich ihr schreiben kann! Ich habe so eine Ungeduld in mir gespürt!

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Therapiegespräch im Jänner 1990
Dr. R. und Monika Winter
    Wie ich meinen Mann kennengelernt habe?
    Das ist im Oktober 64 gewesen. Ich habe Erdäpfel ins Hotel Hochalp geliefert, und dort hat der Toni als Kellner gearbeitet, seit einem Jahr. Vorher hat er in Wien gelebt, er ist ja gebürtiger Wiener. Er hat aus der Großstadt weg wollen und ist deswegen nach Tirol gekommen, weil es ihm so gut gefallen hat, wie er im Krieg ein Jahr lang bei Verwandten gewesen ist mit seiner Mutter, weil die Wohnung ausgebombt war. Ich erinnere mich noch genau, was er zu mir gesagt hat über das eine Jahr: Es ist mir wie das Paradies vorgekommen! Wir in der Stadt haben ja gehungert, und in dem Dorf, auf dem Bauernhof, ist keiner hungrig gewesen! Jeder hat seine Arbeit gehabt, seinen bestimmten Platz in der Gesellschaft! Und am Abend ist man gemütlich in der Zirbenstube gehockt.
    Genau das hat er gesagt, und deswegen ist er 63 nach Sölden gekommen. In Wien hat er vorher jahrelang als Versicherungsvertreter gearbeitet, weil er einen Kredit zurückzahlen hat müssen, den er für eine Bareröffnung aufgenommen hat. Sein Vater ist im Krieg gefallen, die Mutter hat ihn alleine großziehen
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müssen und sie ist an Krebs gestorben, da ist er gerade fünfzehn gewesen.
    Ich bin dreißig gewesen und der Toni fünfundzwanzig. Ich habe mich sofort in ihn verliebt, ja, es stimmt, für mich ist es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Ich glaube, für den Toni auch, wir haben nie darüber geredet, auf alle Fälle hat er mir vom ersten Tag an den Hof gemacht.
    Der Toni hat es mit den Frauen können, und sie sind ihm alle nachgelaufen, aber er hat es auch mit den Männern können, er hat es verstanden, jeden auf seine Weise zu nehmen. Er hat sehr gut ausgesehen und ein gutes Benehmen gehabt, ein erfahrenes, weltmännisches Benehmen. Er ist lustig gewesen und immer zu Späßen aufgelegt, aber er hat auch ruhig und verständnisvoll sein können, mit den alten Menschen zum Beispiel und wenn es gefragt gewesen ist. Mir hat es imponiert, dass er sich für mich interessiert hat, und die jungen Leute hat’s gewundert, weil ich bin nicht gerade die Hübscheste gewesen. Wegen der Kinderlähmung, die ich mit neun gehabt habe, ist mein rechtes Bein ein bisschen steif geblieben und ich ziehe es ein wenig nach, als junges Mädchen habe ich wirklich sehr darunter gelitten. Der Toni hat mir als erster Mann das Gefühl gegeben, dass ich eine gut aussehende Frau bin.
    Meine Eltern haben mich vor ihm gewarnt, sie
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haben sein Verhalten als »schmierig« bezeichnet, besonders mein Vater ist gegen ihn gewesen. Wie es sich im Frühjahr 65 herausgestellt hat, dass ich schwanger bin, hat er vor Wut einen Stuhl zertrümmert. Meine Mutter hat lang mit mir geredet und ich habe ihr gesagt, dass ich den Toni wirklich gern habe, und da hat sie gesagt: Meinen Segen hast du, Mädel, und vielleicht ist es auch zu was gut, dass es kein Alteingesessener ist. Die Alteingesessenheit ist dazumal alles gewesen.
    Meine Mutter ist eine vom alten Schlag gewesen, eine starke Frau war sie, die hätte sich nichts gefallen lassen, und Würde hat sie gehabt. Das ist das richtige Wort für sie, wenn man sie beschreiben will: würdevoll. Wo gibt’s das heute noch?
    Sie ist dagegen gewesen, dass wir ein Pflegekind aufnehmen. Sie hat zu mir gesagt: Gib deinem Mann nicht in allem nach, Monika, du hast drei Kinder! Ein fremdes nehmen, wenn man eigene hat, tut nicht gut! Ein Pflegekind sollen die aufnehmen, die keine bekommen können!
    Ich habe ja das Gleiche gedacht. Aber mir ist es wichtig gewesen, mit dem Toni nicht zu streiten. Wir haben so viel gestritten in den ersten Jahren unserer Ehe, vor allem wie mein Vater noch gelebt hat. Mein Vater hat keine Gelegenheit ausgelassen, dem Toni zu zeigen, dass er ihm nicht gut genug ist. Mit mir hat er ein Jahr lang nicht geredet, nachdem
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er erfahren hat, dass ich schwanger bin. Er ist ein stolzer und sturer Mann

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