Sommerbuch
nicht zu. Hin und wieder kam ein Schauer. Am Ufer schrien die Seeschwalben, und allmählich wurde es Abend.
In meiner Jugend, dachte die Großmutter, war das Mittsommerwetter immer ganz anders. Nicht ein Hauch, nicht ein Lüftchen. Der Garten blühte, und wir hatten einen Maibaum mit Kränzen bis zur Flagge an der Spitze. Das einzig Traurige war, daß sie nie flatterte. Feuer hatten wir nicht. Warum hatten wir nie ein Feuer... Sie lag auf dem Bett und schaute in das grüne Birkenlaub und schlief darüber ein.
Plötzlich schrie jemand auf, die Tür schlug. Das Zimmer war dunkel, denn in der Mittsommernacht darf man keine Lampen anzünden! Die Großmutter fuhr auf und begriff, daß Eriksson gekommen war.
»Beeil dich«, schrie Sophia. »Er will nicht essen. Wir sollen gleich raus und gleich anfangen. Wir sollen uns warm anziehen und uns beeilen .«
Die Großmutter stand auf und war etwas wacklig, fand ihren Pullover, ihre warmen Unterhosen und ihren Stock, und in letzter Minute steckte sie die Lupatro-Tabletten in die Tasche. Die anderen liefen hin und her, und sie hörte, daß unten Erikssons Motor lief. Draußen auf dem Felsberg war es heller, der Wind hatte sich nach West gedreht und brachte feinen Sprühregen mit. Plötzlich war die Großmutter ganz wach. Sie ging allein runter an den Strand und stieg ins Boot. Eriksson begrüßte sie nicht. Er spähte über das Meer, und als er abstieß, wurde kein Wort gesagt. Die Großmutter saß auf dem Boden, und sie sah, wie sich das Meer über der Reling hob und senkte, sah, wie an der Nordküste die ersten Johannisfeuer angezündet wurden. Es waren nicht viele, und im Regennebel kaum zu erkennen.
Eriksson steuerte in Richtung Süden auf Grenzschär zu. Und mit ihm viele andere, immer mehr fuhren auch dorthin, tauchten aus dem Halbdunkel auf wie Schatten. Draußen auf dem grauen Meer schaukelten Kisten mit runden hübschen Flaschen als Ballast, nur der obere Rand zeichnete sich gegen die Bewegungen des Wassers in Schwarz ab, schwarz wie die Boote, die in voller Fahrt ankamen, aber langsamer fuhren, während sie die Kisten an Bord holten, daraufhin gleich weiterkurvten. Das Bergen war wie ein Tanz, genau berechnet und bemessen. Die Boote der Küstenpolizei überholten sie mit ihrem starken Motor, zogen etwas aus dem Wasser, und waren wieder draußen auf See; man drehte einander den Rücken.
Eriksson steuerte, Sophias Vater hing über der Reling und holte die Kisten an Bord. Man fuhr wieder schneller und sparte jede unnötige Bewegung, um keine Sekunde zu verlieren, und schließlich arbeiteten sie so vollendet mit dem schaukelnden Boot zusammen, daß es eine Freude war. Großmutter beobachtete es, sie erinnerte sich und wußte es zu schätzen! Und die ganze Zeit schaukelte der Segen der Mittsommernacht in immer größeren Mengen im Finnischen Meerbusen. Über dem Festland stiegen ein paar schwache Raketen empor, Pfeilschüsse der Träume gegen den grauen Mittsommerhimmel. Sophia war auf dem Boden des Bootes eingeschlafen.
Alles wurde geborgen, ganz gleich, ob es in falschen Händen landete oder nicht, aber nichts ging vor die Hunde. Gegen Morgen löste sich die Flotte fast gleichzeitig auf, zerfloß, jedes Boot schlug seine eigene Richtung ein, immer weiter weg. Im Morgengrauen war das Meer ganz leer.
Der Wind legte sich. Der Regen hörte auf. Ein klarer und schöner Mittsommermorgen brachte seine Farben am Himmel in Ordnung, und es war sehr kalt. Als Eriksson an der Insel anlegte, begannen die Seeschwalben zu schreien. Er ließ den Motor laufen und stieß sofort ab, als das Boot frei war.
Einen Augenblick lang dachte der Vater, daß sie die Beute hätten teilen können, aber es war ein etwas verirrter Gedanke, den er wieder verlor. Er machte jedem ein Butterbrot und nahm Erikssons Kasten mit dem Feuerwerk auf die Veranda. Er legte die Raketen in ihre Startbahnen. Die erste zündete nicht, auch die zweite nicht. Keine von ihnen zündete, sie waren nämlich alle feucht geworden. Nur die allerletzte ging hoch, fuhr dem Sonnenaufgang entgegen, in einem Regen blauer Sterne, die Seeschwalben schrien wieder, und dann war Johanni zu Ende.
Eriksson war sicherheitshalber zurückgefahren in südlicher Richtung.
Das Zelt
Sophias Großmutter war in ihrer Jugend Führerin bei den Pfadfindern gewesen, und eigentlich war es sogar ihr Verdienst, daß kleine Mädchen damals überhaupt bei den Pfadfindern mitmachen durften. Sie konnten nicht vergessen, welchen Spaß es gemacht
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