Sommerbuch
und das Meer hatten ein schwaches Licht, das grau war. Die Insel war klein geworden und ruhte im Meer wie ein treibendes Blatt, doch hinter dem Fenster des Gästezimmers leuchtete es. Sophia klopfte ganz vorsichtig, denn alle Geräusche waren zu groß geworden.
»Wie geht es ?« fragte die Großmutter.
»Gut«, sagte Sophia. Sie setzte sich ans Fußende, sah die Lampe und Netze und die Regenmäntel, die an der Wand hingen, und sie klapperte nicht mehr mit den Zähnen und sagte: »Es ist kein bißchen Wind .«
»Nein«, sagte die Großmutter. »Es ist ganz still .«
Die Großmutter hatte zwei Decken. Wenn man die eine auf den Fußboden legte und ein Kopfkissen bekäme, wäre es ein Bett! Das wäre nicht dasselbe wie zum Spielhaus zurückzugehen, es wäre fast wie draußen. Nein, doch nicht, es war doch drinnen. Wenn man dagegen nicht allein im Zelt bliebe, dann hätte man trotzdem draußen geschlafen!
»Viele Vögel heute nacht«, sagte die Großmutter.
Es gab noch eine Möglichkeit: eine Decke mitnehmen und auf der Veranda schlafen, ganz nah an der Hauswand. Das war draußen und allein. Lieber Gott im Himmel.
Die Großmutter sagte: »Ich konnte nicht einschlafen und dann habe ich plötzlich an traurige Dinge gedacht .« Sie richtete sich im Bett auf und langte nach den Zigaretten. Sophia gab ihr aus alter Gewohnheit die Streichhölzer, dachte aber an anderes. »Du hast doch zwei Decken, nicht ?«
»Ich meine«, begann die Großmutter, »die Dinge werden mir kleiner, sie fliehen rückwärts. Was einmal Spaß gemacht hat, bedeutet nichts mehr, und das ist ein armseliges Gefühl. Irgendwie fühle ich mich betrogen. Man müßte doch wenigstens darüber reden können .«
Sophia begann wieder zu frieren. Sie hatten ihr erlaubt, im Zelt zu schlafen, obwohl sie dafür zu klein war.
Niemand hatte begriffen, wie das ist. Sie hatten sie nur einfach allein in einer Schlucht liegen lassen.
»Ach so«, sagte sie böse. »Was meinst du mit >Spaß gemacht« ?«
» Naja «, antwortete die Großmutter, »ich hab nur gesagt, wenn man so alt ist, und es gibt so vieles, was man dann nicht mehr kann, dann...«
»Was denn, du kannst doch die ganze Zeit! Wir machen doch beide genau dieselben Sachen !«
»Moment mal«, sagte die Großmutter. Sie war sehr aufgeregt. »Ich habe nicht zu Ende gesprochen. Ich weiß, daß ich kann. Ich hab schrecklich lange gekonnt und nach allen Kräften gelebt und erlebt, und es ist phantastisch gewesen. Aber jetzt ist es so, als ob ich nichts behalten kann, mich nicht erinnern kann, und trotzdem wäre das gerade jetzt notwendig .«
»An was kannst du dich denn nicht mehr erinnern ?« fragte Sophia besorgt.
»Ja, wie es ist, wenn man in einem Zelt schläft«, rief ihre Großmutter. Sie drückte die Zigarette aus, legte sich nieder und starrte an die Decke.
»In meinem Land, in Schweden«, sagte sie langsam, »durften die Mädchen nicht im Zelt schlafen, da habe ich dann durchgesetzt, daß sie es durften, das war gar nicht so leicht. Es war herrlich, fanden wir, aber jetzt kann ich nicht einmal genau erzählen, wie .«
Die Vögel schrien wieder, ein großer Schwarm flog vorbei, schrie immerzu. Das Fenster war viel schwärzer als die Nacht, weil die Lampe brannte.
»Aber jetzt werde ich genau erzählen, wie es ist«, sagte Sophia. »Man hört alles viel deutlicher, und das Zelt ist so klein .« Und sie überlegte und fuhr fort: »Und man hat das Gefühl, als ob man ganz geborgen ist. Und daß man alles hört, ist nur schön !«
»Eben«, sagte die Großmutter, »man hört alles .«
Sophia merkte, daß sie hungrig war und zog unter dem Bett den Eßkarton vor. Sie aßen Knäckebrot und Zucker und Käse.
»Jetzt bin ich müde«, sagte Sophia, »ich glaube, ich gehe zurück .«
»Tu das«, sagte die Großmutter. Sie machte die Lampe aus, und nach der ersten Dunkelheit wurde des Gästezimmer wieder heller, und man konnte wieder deutlich alles erkennen.
Sophia ging hinaus und schloß die Tür. Als sie gegangen war, rollte sich die Großmutter in die Wolldecke ein und versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, wie alles gewesen war. Jetzt konnte sie sich besser erinnern. Im Grunde an eine ganze Menge! Neue Bilder kamen zurück, immer mehr. Es war kalt im Morgengrauen, aber sie schlief gut in ihrer eigenen Wärme ein.
Der Nachbar
Ein Direktor baute sich auf der Brandmöwen-KIippe eine Villa. Zu Anfang sprach niemand darüber. Sie hatten eine Schrulle, die sie schon lange pflegten, nämlich das,
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