Sommerbuch
und kriecht zurück. Es ist ängstlich und zeigt seine Zähne, und das ist gefährlicher als zu sterben!
Jedesmal, wenn es dunkel zu werden begann, ging Sophia die Leiter hinauf, nur mit der Nase schaute sie durch die Bodenklappe. Wenn sie sich reckte, konnte sie einen kleinen Zipfel von dem Bademantel erkennen.
»Was machst du denn ?« fragte die Großmutter.
»Neugier ist eine Zier... !« quietschte Sophia mit einem aufreizend piepsigen Stimmchen.
»Mach die Luke zu, es zieht«, sagte die Großmutter. »Geh hinaus und beschäftige dich .« Sie drehte sich zur Wand hin und las weiter. Beider Verhalten zueinander war unmöglich geworden. Sie zankten sinnlos, und die Tage waren bewölkt, mit wechselnden Winden. Der Vater saß immer nur an seinem Tisch und arbeitete.
Sophia dachte immer öfter an den Bademantel. Was dort drinnen wohnte, konnte schnell wie ein Blitz sein, aber auch unbegrenzt lange auf der Lauer liegen. Es konnte sich schmal machen und durch einen Spalt schlängeln, konnte sich dann wieder zusammenrollen und wie ein Schatten unter das Bett huschen. Es aß nicht und schlief niemals, und es haßte alle, am meisten aber die Familie. Sophia aß auch nicht, d. h. nur Butterbrote.
Es muß nicht unbedingt ihre Schuld gewesen sein, aber eines Tages waren Butter und Brot zu Ende. Der Vater fuhr zum Geschäft, um neuen Vorrat zu holen. Er stellte die Wasserkanne und die Kanister für Petroleum und Benzin ins Boot, er nahm die Liste von der Wand und fuhr los. Es war Südwestwind, als er losfuhr; nach ein paar Stunden hatte er so zugenommen, daß die See jetzt über die Inselspitze schlug. Die Großmutter suchte den Wetterbericht im Radio, fand aber nicht den richtigen Knopf. Sie beherrschte sich und ging nicht ans nördliche Fenster, um nachzugucken, und sie begriff kein Wort von dem, was sie las.
Sophia ging an den Strand, kam wieder herauf und setzte sich an den Tisch. »Alles, was du kannst, ist lesen«, sagte sie. Plötzlich schrie sie ganz laut: »Du liest und liest und immerzu liest du !« Dann warf sie sich über den Tisch und heulte.
Die Großmutter richtete sich auf und sagte: »Wird schon wieder werden !« Ihr war übel, und sie suchte hinter der Gardine ihre Tabletten. Sophia heulte weiter, linste aber unter ihrem Arm nach der Großmutter. »Mir ist auch schlecht«, schrie sie, stand auf und spuckte auf den Teppich. Dann war sie still und blaß und setzte sich auf das Bett.
»Leg dich nieder«, sagte die Großmutter, und sie legte sich hin. Sie lagen beide da und hörten, wie der Wind draußen immer wieder neuen, heftigen Anlauf nahm.
»Im Dorf«, sagte die Großmutter, »im Dorf im Geschäft muß man sehr lange warten. Es ist immer eine Schlange dort, und die Leute nehmen es mit der Ruhe. Dann muß der Junge an den Bootssteg gehen und Benzin und Petroleum neu füllen. Die Post muß man auf der Veranda des Kaufmanns holen und selbst sortieren, was einem gehört. Wenn Geld gekommen ist, muß man hineingehen und sich einen Stempel holen, dabei wird dann Kaffee getrunken. Und dann muß er das Pachtgeld bezahlen. Es kann lange dauern !«
»Na und«, sagte Sophia.
»Danach muß alles ins Boot«, erzählte die Großmutter. »Es muß verstaut werden, gepackt«, erzählte sie weiter, »damit es nicht naß wird, und auf dem Weg nach unten fällt einem ein, noch ein paar Blumen zu pflücken, und das Pferd muß auch noch Brot bekommen. Und das Brot liegt natürlich ganz unten in der Tüte !«
»Ich habe zu viel Butterbrot gegessen«, rief Sophia und begann wieder zu weinen. »Ich friere .«
Die Großmutter versuchte, sie mit einer Wolldecke zu bedecken, aber das Kind strampelte und schlug um sich und schrie, daß es sie alle hasse!
»Still«, rief die Großmutter, »still! Sonst muß ich auch spucken. Und du bekommst es dann ab .«
Sophia wurde ganz still. Dann sagte sie: »Ich will den Bademantel haben .«
»Er ist doch auf dem Boden«, sagte die Großmutter.
»Ich will ihn aber haben«, antwortete ihr Enkelkind.
Und da kletterte die Großmutter die Bodenstiege hinauf, es ging ganz gut. Sie kroch ans Fenster nach dem Rock und zog ihn sich durch die Luke. Dort lief? sie ihn einfach nach unten fallen, sal ? dann und ruhte sich ein Weilchen aus, mit den Beinen über dem Lukenrand. Sie war lange nicht dort oben gewesen. Sie las auf den Kisten: Bindfaden, Angelzeug, Dosen. Sonstiges. Lumpen und alte Hosen. Sie hatte die Druckbuchstaben selbst geschrieben. Die Decke hatten sie blau gestrichen, aber
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