Sommerfalle
die Tür aufzumachen. Sie bemerkte, dass ein paar Glieder einer Kette aus seiner hinteren Hosentasche blitzten und hielt das für eine Schlüsselkette, doch er musste gar nicht aufschließen.
Drinnen wandte sie sich um. Das Haus war traditionell eingerichtet, beinahe altmodisch. Es passte so gar nicht zu einem jungen Mann.
»Kannst du bitte die Haustür abschließen?«
Er sah sie einen Moment prüfend an und lächelte dann.
»Klar«, sagte er und verschloss die Tür.
Sie sah sich hilfesuchend um und fragte dann: »Kann ich vielleicht kurz das Bad benutzen?«
Ed zeigte nach links, sie nahm ihren Rucksack mit.
Die Badezimmertür schloss sie hinter sich ab und benutzte dann die Toilette, bevor sie das Wasser aufdrehte und gierig mehrere Handvoll Wasser hinunterstürzte. Die Wunde an ihrem Handgelenk war leicht verkrustet. Sie säuberte sie vorsichtig und tupfte sie danach mit Papier trocken.
Sie nahm ihre eigene Kleidung aus dem Rucksack. Sie hielt sie über die Badewanne, schüttelte sie gründlich aus und rieb die hartnäckigen Flecken provisorisch sauber.
Nachdem sie sich umgezogen hatte, musterte sie ihr Gesicht und ihre Haare im Spiegel. Die Beule auf der Stirn war geschrumpft und inzwischen lila. Auf Wangen und Hals hatte sie zahlreiche Insektenstiche. Ihre Haare sahen entsetzlich aus. Sie lachte in sich hinein. Es war ein so gutes Gefühl, in Sicherheit zu sein, dass sie jetzt keine unnötige Zeit mit Gedanken über ihr Aussehen verschwenden wollte. Sie schloss die Tür auf und verließ das Bad. Links und rechts von ihr befand sich jeweils ein Schlafzimmer. Dazwischen ging es geradeaus ins Wohnzimmer, hinter dem wiederum die Küche lag. Dort konnte sie ihren Retter, ihren Helden namens Ed, sehen.
Auf ihrem Weg in die Küche stellte sie den Rucksack auf den Boden und hielt Ausschau nach einem Telefon.
»Dürfte ich dein Telefon benutzen?« Sie hob die Augenbrauen und lächelte ihn freundlich an.
Ed begann zu stottern. »Tut mir leid, Becca. Kein Telefon. Tut mir … echt leid. Ich habe hier kein Telefon.« Dann hatte er sich wieder im Griff und lächelte schief zurück.
Rebecca nahm sein Lächeln gar nicht wahr, abgelenkt von dem irritierend köstlichen Duft aus dem Ofen sowie von der entmutigenden Aussage, dass es hier kein Telefon gab.
»Kein Telefon? Das gibt es doch nicht.«
Was war hier los? Und warum fragte er sie nicht einmal, was ihr geschehen war?
Ed wandte sich ab und öffnete den Küchenschrank. Er nahm einen Teller und ein Glas heraus und legte noch ein Gedeck auf.
»Wo bin ich eigentlich? Ich meine, in welcher Gegend befinden wir uns?« Sie rechnete damit, dass er sie für verrückt hielt.
Doch er erwiderte: »Nördliches Michigan.«
Dazu hielt er eine Hand hoch, die perfekte geografische Darstellung der unteren Halbinsel Michigans, und zeigte auf das oberste Gelenk seines Mittelfingers. Wie sie schon vermutet hatte, befand sie sich also im nördlichen Michigan.
»Du hast also auch kein Handy? Ich müsste wirklich ganz dringend telefonieren. Oder könntest du mich vielleicht in den nächsten Ort fahren?« Sie versuchte es mit ihrem freundlichsten Gesichtsausdruck, den sie noch zustande brachte, aber sie hatte sich ja gerade erst selbst im Spiegel gesehen und wusste, dass sie erbärmlich aussah.
Ed antwortete: »Mein Auto hat einen Motorschaden. Es fährt gerade nicht.«
Genau, dachte sie, sein Auto ist in der Werkstatt und es gibt kein Telefon. Sie verdrängte das Misstrauen, das langsam in ihrem Inneren wuchs. »Wo ist deine Familie? Kommen sie bald heim?«
Ed sah einen Moment lang auf seine Füße, dann hob er den Kopf und murmelte: »Tot.«
»Oh.« Rebecca wusste nicht, was sie erwidern sollte. Sie traf eine Entscheidung. »Wie weit ist es bis in den nächsten Ort? Dann werde ich dorthin laufen.«
Ed holte tief Luft und zog einen der Küchenstühle hervor. »Bitte setz dich. Das Abendessen wird gleich fertig sein.«
Panik wallte in ihr auf.
»Nein, ich muss von hier weg. Das geht nicht.«
»Du musst etwas essen.«
Rebecca begann zu zittern.
»Ich muss nach Hause.«
»Der Ort ist zu weit weg, um hinzulaufen. Aber mach dir keine Sorgen.«
Er führte sie sanft zu dem Stuhl, und Rebecca ließ sich widerwillig darauf sinken.
Im Wohnzimmer stand ein antiker Sekretär, zu dem Ed jetzt hinüberging. Er öffnete eine Schublade und nahm einen Computer heraus, einen sehr alten Palm Pilot.
»Wireless-E-Mail«, verkündete er. »Reicht das?«
Sie fing vor Freude fast an zu
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