Sommerfalle
Ihr Schädel brummte. Aber wovon? Was hatte Mike mit ihr gemacht?
Mit den Händen fuhr sie sich über die Kleider. Sie trug immer noch dieselben Sachen. Also hatte er sie ansonsten nicht angerührt. Gott sei Dank! Selbst die Schuhe hatte sie noch an.
Sie öffnete die Zimmertür und lauschte. Als sie einen Schritt hinaus tat, konnte sie bis ins Wohnzimmer sehen. Draußen vorm Haus brannte Licht, das wie ein Strahlenkranz unter den Vorhängen hereinfiel. Sie lauschte erneut.
An der Haustür gab es einen Spion, sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um durchsehen zu können. Draußen auf dem Fenstersims stand eine zertretene Dose. Mike musste da gewesen und sich hämisch gefreut haben, nachdem er sie unter Drogen gesetzt hatte. Wie war ihm das gelungen? Das Zeug musste in dem Orangensaft gewesen sein. Und wenn Ed nun auch davon getrunken hatte?
Sie wandte sich von der Tür ab und schlich zu Eds Schlafzimmer. Die Tür stand offen. Sie konnte sehen, dass das Zimmer leer war, das Bett unberührt.
Wie spät war es überhaupt? Zwölf? Zwei? Drei? Wie spät auch immer, sie war jedenfalls wieder auf der Flucht. Sie sah noch einmal durch den Spion und musterte die dunklen Umrisse der Bäume. Im Schein der Außenlampe waren selbst einzelne Blätter gut zu erkennen. Einige der Blätter bewegten sich jetzt heftiger und plötzlich … tauchte dort das Gesicht von Mike Sylver auf.
Als sie die Zufahrt zu dem weißen Haus erreicht hatten, drückte Mike Josh die Taschenlampe in die Hand.
Er flüsterte Josh zu: »Lass uns diesen Baumstamm quer über den Weg legen.« Er trat auf das lange, dunkle Holz zu und packte es an einem Ende. Ohne Joshs Hilfe zog er es über die Zufahrt und wandte sich wieder an ihn: »Du setzt dich hier hin und schiebst Wache. Ich gehe mal die Lage checken und komme dich dann holen.«
Josh wollte gegen die passive Rolle protestieren, die Mike ihm zugedacht hatte, doch ihm war so übel, dass er sich widerspruchslos auf dem Baumstamm niederließ.
Mike ging die Zufahrt hinauf, bis er den Schein der Außenlampe auf den Bäumen vor sich sah. Er duckte sich ins Unterholz und schlich näher, bis er sich gegenüber der Haustür befand. Er musterte das still dastehende Haus, nahm die leeren Getränkedosen vor der gut beleuchteten Tür wahr. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er hörte links von sich ein Geräusch im Dickicht, genau in dem Moment, als er aus seiner Deckung kommen wollte. Mike tat es als die Laute irgendeines Nachttiers ab und lief bis zur Garage vor, um von dort aus das Haus zu umrunden.
Rebecca sprang vom Türspion zurück. Er war jetzt nur zehn Schritte von der Haustür entfernt. Sie musste sofort hier raus. Schnell lief sie ins Wohnzimmer und hin zum antiken Sekretär. Die Verbindungstür zur Garagentür war jetzt näher als die Eingangstür. Also schlüpfte sie hier aus dem Haus hinaus, wobei sie sich sicher war, dass er jeden Moment durch die Vordertür hereinkommen musste. Sie wünschte, sie hätte ihre Schlafzimmertür zugemacht, dann würde er ihre Flucht vielleicht nicht ganz so schnell bemerken.
In der Garage sah sie außer der Waschmaschine und dem Trockner noch die geisterhaften Umrisse eines zugedeckten Motorrads. Das einzige Fenster befand sich in der Nähe der Waschmaschine. Alles war in dunkles Grau getaucht. An der Wand konnte sie einen dort abgestellten Besen erkennen, vielleicht war es auch eine Schaufel.
Ein schwacher Schatten fiel durchs Fenster. Ein Kopf. Mike sah kurz in die Garage herein und verschwand dann wieder. Er war also noch nicht im Haus, sondern pirschte noch immer außen herum. Es würde nicht mehr lange dauern, und sein Blick würde in das leere gelbe Schlafzimmer fallen und auf das zerwühlte, leere Bett.
Rebecca durchsuchte den Rucksack nach den Streichhölzern. Sie fühlte das Brot, das Messer, die Schere, das Tagebuch und endlich, noch unter der Pistole, die Streichhölzer. Sie zündete die Kerze an, schirmte den Schein mit ihrer Hand ab und stellte sie ein Stück entfernt auf den Boden. Sie suchte nach Benzin. Rebecca hatte einen verzweifelten Plan gefasst, den sie jedoch verwarf, als sie das Fahrrad entdeckte.
Edward saß im Baum und unterdrückte ein Husten. Er hätte sich gern geräuspert, doch er wusste, dass dies Geräusch ihn verraten würde. Er glaubte, gerade Beccas Hand am Fenster gesehen zu haben, doch dann entschied er, dass ihm wohl nur seine Augen in dem Zwielicht einen Streich gespielt hatten. Er konnte die ganze Nacht hier sitzen,
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