Sommerferien in Peking
weit entfernten Städten arbeiten muss. Eine gute Arbeit ist eben sehr wichtig.«
Max klingt jetzt selbst wie ein Erwachsener. Oder klingt es eher so, als ob er nachspricht, was andere ihm erzählt haben?
»Du hast Glück, dass deine Mama nach Deutschland mitgekommen ist«, fährt Max fort.
Bevor mir noch was einfällt, steht er schon auf.
»Viel Spaß in Peking, Lisa«, sagt er, ohne mich noch mal anzuschauen. »Tschüss!«
»Tschüss ...«, echoe ich. Max ist jedoch schon am Weggehen, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben.
Verflixt! In meinem Kopf dreht sich plötzlich alles. Wahrscheinlich habe ich wirklich Glück gehabt, dass Mama ihren Job in Peking aufgegeben hat, um mit uns nach Deutschland zu gehen. Seitdem Ricky in den Kindergarten geht, studiert Mama wieder an der Uni. Aber ich weiß, dass ihr die Arbeit in China sehr gefallen hat und sie hier in Deutschland wohl auch gern wieder arbeiten würde.
Seltsam, warum habe ich darüber bisher nie nachgedacht? Denke ich wirklich nur an mich selbst, wie Max sagt? Mir wird kalt und warm. Vielleicht ist das eine dunkle Seite von mir? Von meinem Tierzeichen Tiger? Ich bin nämlich im Jahr des Tigers geboren.
Als ich nach der Schule nach Hause laufe, bin ich noch langsamer als sonst. Während ich einen Kiefernzapfen vor mir herkicke, überlege ich, ob Mama tatsächlich glücklich darüber ist, dass sie jetzt wieder studiert. Ich bin mir da nicht sicher. Letzte Woche hat sie einen Vortrag über chinesische Musik gehalten und danach sehr zufrieden gestrahlt. Aber an einem anderen Tag hat sie beim Abendessen auch geschimpft: »Wie können die deutschen Studenten so respektlos zu dem armen alten Professor sein?! Sie quatschen nicht nur laut in der Vorlesung, sondern essen auch Äpfel und Joghurt! Und als ich mal unter die Stühle schaute, saß unter dem Stuhl neben mir noch ein riesiger Hund! So etwas war in meiner Uni in Peking überhaupt nicht vorstellbar!«
Dass es Leute gibt, die immer sagen, dass alles in ihrerHeimat besser ist als in anderen Ländern, das weiß ich längst. Mama sagt, solche Leute wollen gute Seiten im Ausland gar nicht sehen, weil sie sonst im Ausland glücklich sein würden. Also, meine Mama ist natürlich nicht so ein Typ. In diesem Fall musste ich ihr auch recht geben: »Wir dürfen in der Schule beim Unterricht auch nicht quatschen!«
Mama deutete mit dem Kochlöffel auf Papa und fragte ihn provozierend: »Hast du als Student auch in den Vorlesungen gequatscht?«, als wäre er derjenige, der in der Vorlesung gestört hätte.
»Ich? Warum denn ausgerechnet ich ?«, fragte Papa verwundert.
»Hast du oder hast du nicht?« Mama hielt den Kochlöffel immer noch auf Papa gerichtet.
»Natürlich nicht! Es quatscht doch nicht jeder in der Vorlesung«, verneinte Papa unschuldig.
»Vielleicht bin ich einfach zu alt für die Uni...«, murmelte Mama zum Schluss.
Als ich nach Hause komme, finde ich Mama im Garten bei den Bambussen. Redet sie wieder mit den Bambussen? Ich weiß nicht, ob das auch so ein chinesischer Trick ist, aber Mama meint immer, dass die Bambusse dann besser wachsen. Ich umarme sie ganz fest.
»Ich habe wirklich Glück, Mama«, beginne ich.
»Das stimmt«, antwortet Mama und schwingt wie einZauberer plötzlich ein Flugticket vor meiner Nase hin und her.
»Mein Flugticket nach Peking!« Mein Herz schlägt sofort wie wild.
Als ich ihr das Ticket entreißen möchte, hält Mama es hoch in die Luft.
»Du musst mir zuerst versprechen, dass du nach vier Wochen wieder nach Hause kommst«, sagt sie halb ernst, halb spaßig.
»Ach, Mama!«, ich lache vor Freude und versuche, das Ticket mit Hochsprungkünsten zu erreichen.
»Versprochen?« Mama lässt nicht locker.
»Aber natürlich, Mama!«
»Das Ticket ist aber auch unser Geburtstagsgeschenk für dich.« Mama lacht jetzt und gibt es mir endlich in die Hand.
»Da du an deinem Geburtstag in Peking sein wirst, darfst du schon jetzt deine Geschenke haben. Und eine Geburtstagsparty...«
»... gibt es dann nicht, weil Geburtstag in China traditionell nicht gefeiert wird«, bringe ich Mamas Satz schnell zu Ende. Das war auch ein Grund gewesen, warum ich lieber nicht allein nach Peking fliegen sollte. In China feiert man nur dann richtig Geburtstag, wenn man 50, 60, 70 oder so weiter geworden ist. Mama erklärt noch: »Heutzutage feiern viele junge Chinesen zwar Geburtstag, aber Lao Lao und Lao Ye sind eben nicht mehr so jung. Sie haben nochnie eine Geburtstagsparty für
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