Sommerferien in Peking
Kopf.
Ricky versteht noch nicht, was hier los ist, und fragt immer wieder nach Knut.
»Ich schaue nur mal nach vorne«, sagt Mama. Aber bestimmt kann selbst Mama hier nicht mehr tricksen, denke ich traurig.
Kurz darauf ist Mama wieder zurück. Da ihre Augen vor Freude leuchten, keimt bei mir Hoffnung auf und ich frage sie: »Und ...?«
»Kommt alle mit!«, kommandiert sie wieder und läuft auch schon los. Wir folgen ihr diesmal ohne zu zögern, selbst als sie uns, statt zu Knut, zu einem Spielplatz führt.
Auf dem Spielplatz befiehlt Mama meinem Papa, Ricky auf seine Schultern zu nehmen und sich dann mit ihm auf eine Bank zu stellen. »Schau mal über die Büsche. Das ist doch Knut, oder?«
Mama hat mich inzwischen auch auf einen großen Felsen gehoben. Tatsächlich, von hier oben sehen wir ihn: Knut, das Eisbärenbaby. Er liegt auf einem Steinhügel – nur wenige Meter von uns entfernt. Zwischen Knuts Gehege und dem Spielplatz ist lediglich eine kleine Gasse. Man sieht ihn daher fast genauso gut, wie wenn man direkt vor dem Gehege stehen würde.
»Hallo, Licky!« Plötzlich hören wir Stimmen hinter uns. Es sind die chinesischen Studenten aus der Botschaft. Einige von ihnen haben Donuts in der Hand.
Mama stammelt vor Überraschung: »Habt ihr ebenfalls die zweite Schlange am Eingang gefunden?«
»Aber natürlich«, lachen die Studenten vergnügt.
Das ist wirklich ein perfekter Tag. Darüber sind wir uns alle auf dem Weg nach Hause einig. Knut sieht genauso süß aus wie im Fernsehen. Ich darf noch drei Postkarten von ihmkaufen. Und die schönste davon nehme ich gleich, um Sophie zu schreiben, dass ich sie in den Ferien in Peking besuchen kommen werde.
Ricky hat nicht nur einen Knut als Kuscheltier bekommen, sondern noch ein paar Donuts von den Studenten. Und Mama findet Knut zwar süß, aber noch eindrucksvoller war für sie, wie diszipliniert sich die meisten Deutschen in der Schlange angestellt haben. »Ihr Deutschen seid viel ausdauernder als wir«, sagt sie nachdenklich. »In China würden sich viel weniger Leute auf so eine lange Wartezeit einlassen.«
»Bei uns fehlt es nur manchmal ein bisschen an Flexibilität. Deswegen brauchen wir eine Chinesin in unserer Familie«, sagt Papa zum Spaß.
Wieder zu Hause angekommen, ist der nächste Punkt auf der To-do-Liste dran: Geschenke kaufen. Ich kann es kaum erwarten. Geschenke kaufen ist fast ein Hobby von mir – ich bin sehr gut darin und finde immer die coolsten Sachen für meine Freunde, wenn sie Geburtstag haben. Oft muss ich auch Mama dabei helfen. Ich freue mich darauf, ein paar schöne Klamotten für Lao Lao, Lao Ye und Mamas jüngere Schwester, Tante Bin, auszuwählen. Für meine Cousine Mi Mi werde ich einfach Süßigkeiten oder cooles Spielzeug kaufen. Aber Mamas Liste ist unendlich.
»Für Lao Lao und Lao Ye musst du eigentlich nicht viel mitbringen. Sie wollen nur, dass du gut ankommst«, sagt Mama. Aber Mamas Tante, ihren Onkel, ihren Cousin, ihreCousine und deren Kinder dürfen wir zum Beispiel auch nicht vergessen.
Ich kaufe jedenfalls mit meinem Taschengeld für Mi Mi Gummibärchen und Kinderschokolade.
»Die Wanduhr mit der Meerjungfrau ist so hübsch. Wir könnten sie doch deiner Cousine schenken«, schlage ich vor.
»Auf keinen Fall!« Mama ist entsetzt: »Wenn du einem Chinesen eine Wanduhr schenkst, dann heißt das, dass du ihm wünschst, dass er gleich stirbt.«
Oh, lieber Gott, das will ich natürlich nicht!
»Dann fragen wir sie eben, was sie haben möchte«, schlage ich stattdessen vor. Das haben wir in der Familie oft gemacht.
»So etwas macht man in China nicht mit Freunden oder weitläufigen Verwandten. Kein Chinese sagt jemals direkt, was er von dir gerne haben möchte«, seufzt Mama. Sie sinniert weiter: »Aber Lao Lao und Lao Ye kann ich direkt fragen. Das ist in Ordnung. Und deine Tante Bin auch – sie hat ja schon acht Jahre in Amerika gelebt.«
»Wir könnten den anderen ein bisschen Geld schenken, dann können sie selbst kaufen, was sie haben möchten.« Das haben wir auch ab und zu in Deutschland getan.
»Das kann man in China nur mit Kindern machen. Ansonsten ist das eine Beleidigung.« Mama schüttelt wieder den Kopf. Oje, so kompliziert habe ich mir das mit den Geschenken gar nicht vorgestellt.
Dann wird es noch schlimmer. Als wir aus dem fünften Laden des Einkaufszentrums herauskommen, seufzt Mama verzweifelt: »Hier ist fast alles ›Made in China‹. Was soll ich nur kaufen?«
Ich bin sehr
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