Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommerferien in Peking

Sommerferien in Peking

Titel: Sommerferien in Peking Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leela Wang
Vom Netzwerk:
mich fragend an. Ich zeigte Mama meine rechte Hand mit Daumen nach oben. Wir beide grinsten breit.
    Nachdem die Frühlingsrollen ausgeteilt waren, setzte sich Emily neben mich und sagte: »Deine Mama ist echt lustig. Hat sie so viele Frühlingsrollen selbst gemacht?«
    »Ich habe ihr auch geholfen«, sagte ich stolz. »Wir haben zusammen hundert Frühlingsrollen geformt.«
    Was ich nicht gesagt habe, war, dass Mama mindestens 99-mal Frühlingsrolle auf dem Fest richtig gesagt hat.
    Dann passierte es: Frau Richter, die Direktorin, verkündete über das Mikrofon, dass es zum Schluss noch einen besonderen Auftritt geben würde – eine Taiji-Vorführung.
    Eine Taiji-Vorführung? Ich schaute misstrauisch auf die Plattform, die ein paar Eltern gestern Abend aufgebaut hatten. Papa stand tatsächlich schon auf der Bühne mit seiner roten Kung-Fu-Kleidung aus Seide. Er stand genauso still wie an dem Tag, als er vor meiner Schule auf mich gewartet hatte. Oh Mann! Ich machte schnell meine Augen zu: Das würde mein Ende bedeuten!
    Ich wartete lange auf das Kichern und Lachen, aber es kam nichts. Stattdessen hörte ich ein schönes, beruhigendes chinesisches Flötenstück. Langsam machte ich meine Augen wieder auf. Niemand lachte, niemand zeigte mit den Fingern auf die Bühne, niemand sagte irgendetwas. Alle schauten sie konzentriert meinem Papa zu, wie er langsam eine Taiji-Form ausführte.
    Bis zum Ende der Vorführung war nicht mal ein Räuspern zu hören. Dann kam der große Applaus. Ich verstand immer noch nicht, was gerade passierte.
    Papa gab gleich noch eine Zugabe. Seine Hände hielt er dabei in Form eines Schlangenkopfs und seine Armbewegungen waren blitzschnell – so, wie eine angreifende Kobra. Obwohl ich schon viele Male bei Papas Übungen zugesehen hatte, musste selbst ich beim Zuschauen den Atem anhalten. Papa bekam natürlich zum Schluss wieder einen riesengroßen Applaus. Seine Schlangenform war der absolute Höhepunkt des Festes! Als ich stolz in die Runde blickte, entdeckte ich Tobi, der gerade begeistert klatschte.
    Nach Papas Auftritt bekam Mama noch einen großen Blumenstrauß überreicht, weil sie bei der Projektwoche nicht nur viel mitgeholfen hatte, sondern, wie Frau Richter meinte, auch alle anderen »inspiriert« habe.
    Mama zwinkerte mir von der Bühne aus zu und machte dann heimlich mit zwei Fingern ein »V«. Das Victory-Zeichen. Ein Zeichen für Sieg.
    Als ich am nächsten Tag in der Pause Scheddy fütterte, stand plötzlich Tobi neben mir. Das war echt seltsam, da die Jungen selten zu Scheddy kamen und Tobi schon gar nicht.
    »Lisa, kannst du auch die Schlangenform wie dein Papa?«, fragte er mich. Ich schaute mich um: Emily, Sarah, Nicole und Max waren dummerweise alle nicht da. Ich überlegte, ob ich die Wahrheit sagen sollte. Man konnte schließlich nie wissen, was Tobi im Schilde führte. Ich hatte die Form noch nie gemacht, aber es wäre nicht schlecht, wenn Tobi denken würde, dass ich sie konnte.
    »Vielleicht ...«, sagte ich. Aber Tobi war schon bei der zweiten Frage: »Du hast deinem Papa doch nicht etwa gesagt, dass ... dass ich ... ihn als komisch bezeichnet habe, oder?«
    Tobi senkte den Blick und scharrte mit den Füßen. Ich verstand nicht, worauf er hinauswollte.
    »Vielleicht ... Warum?« Ich schaute ihn herausfordernd an.
    »Na ja, vielleicht ... vielleicht kann dein Papa mir etwas beibringen? Also die Schlangenform oder so?«
    Aha! Tobi möchte von meinem Papa Kung-Fu lernen!
    »Also, du willst auch so komisch zehn Minuten still dastehen?«
    »Na ja, vielleicht nur die Schlangenform ... Ich wusste nicht, dass es Kung-Fu war ...«
    Ich konnte es nicht glauben.
    »O.K., ich kann meinen Papa mal fragen«, sagte ich zum Schluss. »Übrigens, was mein Papa vorher mit geschlossenen Augen vorgeführt hat, das war Taiji. Nicht irgendwelches Kung-Fu.«
    Als Emily wieder einmal bei uns zu Hause war und wir beide auf meiner Hängematte lagen, zeigte ich ihr zum ersten Mal das Jahrbuch meiner ehemaligen Schule. Ich erzählte ihr – Seite für Seite – von früher, von Ms Welsen und Sophie ...
    »Es ist bestimmt eine ganz tolle Schule«, meinte sie. »Bist du traurig, dass du weggehen musstest?«
    »Nein, nur manchmal ... ein bisschen,« antwortete ich und klappte das Jahrbuch zu.
    Kurz darauf kam Emily jeden Samstag mit mir in Mamas Chinesisch-Schule. Und Tobi war auch ein paarmal bei uns zu Hause, um die Schlangenform zu lernen. Er musste natürlich erst wissen, wie man wie eine Pinie

Weitere Kostenlose Bücher