Sommerferien in Peking
erleichtert, als Mama dann sagt, dass sie die Geschenke für die Erwachsenen später besorgen wird. Ich glaube, ihre Füße tun genauso weh wie meine.
»Warum suchst du nicht mal im Internet? Da findest du bestimmt etwas Schönes«, tröste ich Mama auf dem Weg nach Hause. Ich habe zum Beispiel eine wunderschöne Freundschaftskette im Internet gefunden, für Emily zu ihrem Geburtstag, und ein Poster von Max’ Lieblingsfußballer – sogar mit Autogramm. Wie sie sich darüber gefreut haben!
Mamas Augen leuchten wieder: »Gute Idee – warum habe ich nicht selbst daran gedacht.«
Eine Woche später kommt Post von der Chinesischen Botschaft. Mein Visum ist da! Seitdem denke ich jeden Tag an meine Abreise – wenn ich auch nicht darüber rede. Die Zeit vergeht so langsam, dass ich manchmal das Gefühl habe, der Tag meiner Abreise würde nie kommen. Aber dann, plötzlich, ist er da!
Der Flug nach Peking
Während der Autobahnfahrt zum Frankfurter Flughafen sagt Mama, dass ich mich noch ein bisschen erholen soll, da der Flug nach Peking über neun Stunden dauert. Aber wer kann bei solch einer Aufregung einschlafen? Ich kann es auf jeden Fall nicht. Ganz ehrlich gesagt, ein bisschen Angst habe ich jetzt auch. Ich meine, was ist denn zum Beispiel, wenn das Flugzeug abstürzt?!
Papa sagt, ich soll mir da keine Gedanken machen, denn Unfälle passieren beim Fliegen seltener als beim Autofahren. Wie gesagt, mein Papa weiß fast alles und muss wohl solche Sachen auch wissen.
Aber kann Nervosität auch anstecken? Beim Kinder-Check-in schauen wir amüsiert zu, wie Mama ein kleines Formular ausfüllt. Kann es sein, dass Mama jetzt auch in Panik gerät? Nachdem sie dreimal meinen Namen falsch geschrieben hat, schiebt sie das Formular zu Papa undstammelt: »Adresse? Wo wohnen wir? Schreib du lieber mal ...«
Wie Papa und der Flughafenangestellte jetzt laut lachen müssen!
Komischerweise fühle ich mich nun schon viel besser. Ich finde eigentlich, dass Flughäfen der obercoolste Platz auf Erden sind. Der Flughafen in Frankfurt ist im Grunde wie meine internationale Schule, nur viel, viel größer. Überall höre ich Fremdsprachen, auch solche, die ich noch nie gehört habe. Überall sind Leute mit unterschiedlicher Hautfarbe und Kleidung. Eine riesengroße Weltraumstation muss in etwa so aussehen, denke ich.
Als wir das Gepäck abgeben, atmen wir alle erleichtert auf – der Koffer muss nicht aufgemacht werden. Mama hat so viele Sachen hineingestopft, dass sie sich zum Schluss auf den Koffer setzen musste, damit ich den Reißverschluss zumachen konnte. Wenn man ihn jetzt aufmacht, werden bestimmt alle Geschenke rausgeschleudert wie bei einem Vulkanausbruch und es dauert Stunden, wieder alles einzupacken.
Im Kinderwarteraum fällt mir ein weiterer Stein vom Herzen: Es warten noch fünf andere Kinder, die auch allein fliegen sollen. Ein Mädchen sagt mir, dass sie schon zweimal allein nach Barcelona zu ihrer Oma geflogen ist.
Ganz allein bin ich sowieso nicht: Mein Kuscheltiger Lily sitzt die ganze Zeit in meinem Rucksack und wird mich auf meiner Reise nach China begleiten.
Ricky ist von den vielen Spielsachen im Warteraum total begeistert. Also spielen wir mit dem Mädchen zusammen erst eine Runde »Flughafen«. Dann ruft ein netter Herr meinen Namen auf.
»Jetzt geht es los, Lisa!«, sagt er und steckt meinen Pass, mein Ticket und die Bordkarte in eine durchsichtige gelbe Tasche, die ich mir um den Hals hängen soll, damit nichts wegkommt. Der nette Herr heißt Alex und er wird mich zum Flugzeug bringen.
Bis zur Sicherheitskontrolle dürfen mich meine Eltern und Ricky noch begleiten. Ich gebe Ricky einen dicken Kuss. Er ist heute besonders niedlich, obwohl er jetzt wieder schreit, weil er auch nach China fliegen will.
Dann drückt Mama mich so lange und so fest, dass es mir beinah wehtut. Alex hat jetzt bestimmt gemerkt, dass ich zum ersten Mal alleine fliege. Er kreuzt die Arme vor der Brust und schaut uns mit bedeutungsvollem Lächeln an, als ob er sagen wollte: »Wir haben noch viel Zeit.«
Ich flüstere Mama ins Ohr: »Mama, keine Angst. Ich schaffe es schon.« Mama lacht und flüstert auch zurück: »Ich weiß, mein kleiner Tiger! Viel Spaß in Peking und pass gut auf dich, Lao Lao und Lao Ye auf.«
Ich mag es sehr, dass ich auf Lao Lao und Lao Ye aufpassen soll.
Als ich mit Alex durch die Kontrolle laufe, höre ich Rickys Stimme hinter mir: »Mama, geht Lisa jetzt nach China?« Umdrehen mag ich mich nicht
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