Sommerferien in Peking
enthält etwas knusprige Haut, etwas Fett und etwas Fleisch.
Mi Mi klatscht begeistert in die Hände und Lao Ye nickt mit dem Kopf. »Das ist nichts anderes als fortgeschrittenes Kung-Fu«, meint er und erklärt mir dann, dass Kung-Fu einfach »Etwas durch harte und geduldige Arbeit Erreichtes« bedeutet. Nicht nur die aus China stammendenKampfsportarten werden als Kung-Fu bezeichnet, sondern im Grunde auch andere Tätigkeiten, bei denen durch langes Training Vollkommenheit angestrebt wird.
Ich nehme mir einen dünnen Pfannkuchen und verteile darauf die süße Bohnensoße. Dann kommen klein geschnittene Gurkenscheiben und dünne Streifen Frühlingszwiebeln dazu. Zum Schluss lege ich ein paar Scheiben Ente in die Mitte und rolle das Ganze zusammen zu einer Tüte. Jetzt kann ich die Tüte endlich in den Mund nehmen. Und das schmeckt gut!!
Mi Mi isst die Ente nur mit ein bisschen Zucker. Das probiere ich auch gleich aus und so schmeckt es mir noch besser.
Ich habe plötzlich eine Idee: »Wenn ich groß bin, eröffne ich ein Pekingenten-Restaurant in Deutschland. Dann muss ich nicht nach Peking kommen, um ›echte‹ Pekingente zu essen.«
»Ich dachte, du willst eine Taiji-Meisterin werden?« Lao Ye macht sich ein bisschen lustig über mich.
»Na ja, vielleicht kann ich alles werden: eine Taiji-Meisterin, die ein Pekingenten-Restaurant eröffnet und nebenbei noch Texte für Lieder schreibt.« Ich überlege kurz und frage mit vollem Mund: »Ist es schlimm, wenn ich viele verschiedene Sachen ausprobieren möchte?«
»Nein, das ist gerade das Schöne, wenn man jung ist«, lacht Lao Ye. »Da kannst du nämlich alles ausprobieren, was dich interessiert.«
»Lao Ye, was sind eigentlich die anderen Tricks, die man noch kennen muss, um eine richtige Pekingente zu machen?«, will ich nun wissen.
Lao Ye sagt: »Das weiß ich auch nicht so genau. Ich glaube, das bleibt ein Geheimnis jedes Pekingenten-Restaurants.«
Auf einmal wird mein Hals trocken. Was soll ich darauf erwidern? Ich habe vorher selbst zu Mi Mi gesagt, dass man sein Geheimnis nicht verraten darf. Und das stimmt doch, oder?
Lao Ye sieht mich mit prüfendem Blick an und ich habe das Gefühl, dass er mich durchschaut. Er sagt schließlich: »Obwohl ... Wenn du es wirklich wissen willst, müssen wir nach dem Essen einen Spaziergang durch das Stadtzentrum machen und unser Glück versuchen.«
»Jaaah! Bitte!«, schreie ich vor lauter Aufregung.
So fahren wir nach dem Essen in Richtung Stadtzentrum.
Bald sehen wir schon die »Verbotene Stadt«, den alten Palast des chinisischen Kaisers. Er glänzt in der Abendsonne wie Gold. Die mythischen Figuren auf den Dächern sollen Feuer, Überschwemmungen und böse Geister abwehren. Die roten Mauern und die gelben Ziegeldächer bilden einen wunderschönen Kontrast. Bald sind die modernen Hochhäuser, das Opernhaus, die Konzerthalle, die 5-Sterne-Hotels und Shopping Malls nicht mehr zu sehen. Stattdessen sieht man dicht zusammengebaute kleine Villen, große künstliche Seen und eindrucksvolle Adelspaläste. Um den Palast herum gibt es viele alte chinesische Häuser und kleine Gassen, die man »Si He Yuan« und »Hu Tong« nennt. Lao Ye sagt, dass meine Urgroßeltern noch in solchen Häusern gewohnt haben, zu denen immer ein Garten gehörte – mit einem Teich voller Lotus und kunstvoll arrangierten Felsen.
Irgendwann müssen wir das Taxi verlassen. Wir sind jetzt in der Altstadt und die Hu Tongs, die schmalen Gassen, sind langsam zu eng für Autos. Wir laufen mal nach links, dann wieder nach rechts. Ich komme mir vor wie in einem großen Labyrinth. Das ist am Anfang sehr lustig, aber nach einer Weile weiß ich gar nicht mehr, in welche Richtung wir gehen.
Irgendwann bleibt Lao Ye stehen und kratzt sich am Kopf: »Ich bin mir auch nicht mehr sicher, es sollte doch hier sein ...«
Oh, nein! Auch Lao Ye hat sich verlaufen! Gestern noch hat Lao Lao uns eine Geschichte von Lao Ye erzählt. Wie er sich mit seinem Forschungsteam einmal in der Wüste verlaufen hat und es kaum noch Wasser gab. Lao Ye hat es aber geschafft, das Team aus der Wüste zu führen.
»Du hast doch damals in der Wüste den richtigen Weg gefunden, Lao Ye«, sage ich etwas skeptisch. »Wie hast du das denn geschafft?«
»Ich habe in der Wüste die Sterne gelesen.« Lao Ye blinzelt ein bisschen nervös und fügt entschuldigend hinzu: »In der Stadt können wir leider gar keine Sterne sehen.«
Er schaut zu dem dunklen Himmel hinauf und überlegt kurz.
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