Sommerfest
Männer in Führungspositionen.
»Die Gläser und den ganzen Rest sollt ihr natürlich rausnehmen, ihr Penner!«
Und während die Bäuche und der Zopf drinnen anfangen zu räumen und dann kaputt zu kloppen, klingelt Stefans Handy. Die Nummer im Display kommt ihm bekannt vor, aber er kann sie nicht sofort zuordnen. Er macht ein paar Schritte zur Seite, weg von Diggos Gemotze und Totos Wimmern, und als er rangeht, hört er vor allem ein Rauschen. Da sitzt jemand im Auto, denkt er. Dann hört er eine weibliche Stimme, die ein paarmal Hallo sagt.
»Ja?«, sagt Stefan.
»Sie haben mich angerufen. Ich hatte Ihre Nummer im Display.«
»Charlie?«
»Hallo?«
»Ich bin’s!«
»Ich kann Sie leider nicht verstehen! Hallo?«
Und dann ist sie wieder weg.
Okay, sagt sich Stefan, ganz ruhig. Sie hat nicht gewusst, dass du das bist. Sie kennt deine Nummer nicht. Sie hat auch deine Stimme nicht erkannt, aber das ist der schlechten Verbindung geschuldet. Stefan weiß, dass ihn das nicht so aus der Bahn werfen sollte, aber das tut es. Ihre Stimme. Verzerrt, kaum hörbar, aber doch ihre.
Diggo rammt ihm eine Pranke auf die Schulter und reißt ihn aus seinen Gedanken. »Was los? Angebot aus Hollywood, oder wieso bist du so blass, du leere Hose?«
»Keine Ahnung, wer da dran war. Schlechte Verbindung.«
»Egal. Trink aus, dann kriegst du noch eine für auf den Weg, und wir gucken uns an, wie die Versager den Wagen vollladen, und dann sehen wir uns beim Sommerfest von der Spielvereinigung. Und heute Abend ziehen wir noch mal zu dritt los!«
Das ist nun eine ziemlich ernst zu nehmende Drohung. Losziehen mit Diggo und Toto kann hässlich werden. Ich muss hier ganz schnell wieder weg, denkt Stefan. Ich sollte mich im Haus einschließen, fernsehen und dann wieder abhauen. Einfach schon Sonntag früh fahren. Die ganze Sache schnürt einem doch irgendwann die Luft ab. Und mit Toto und Diggo losziehen, das heißt, man wird zusätzlich noch von einem Laster überrollt.
»Heute Abend bin ich leider schon verplant«, kriegt ernoch raus, obwohl das nicht stimmt und obwohl das nichts nützt, denn er weiß: Im entscheidenden Moment wird er Diggo wieder nichts entgegenzusetzen haben.
»Dann morgen«, bestimmt Diggo. »Das klären wir noch.«
Erstaunlich schnell haben die drei Musketiere den alten Schrank erlegt. Zerstörung ist ihr Geschäft. Auch die zweite Flasche Bier läuft rein wie nix und entfaltet ihre Wirkung ebenso schnell. Dann sitzt Stefan wieder neben Toto im Wagen und stellt fest, dass die Welt tatsächlich schärfere Konturen hat, wenn man bei schönem Wetter Alkohol trinkt.
»Das ist schon ’ne Marke, der Diggo!«, sagt Toto, während er etwas zu schnell den engen Weg entlangbrettert, sodass die Hecken rechts und links wieder den Lack verkratzen. Dann aber schaltet er das Radio ein und sagt nichts mehr, bis sie vor dem Platz der Spielvereinigung stehen.
»Ich bring noch den Wagen weg und komm dann nach!«, sagt Toto.
Stefan steigt aus und betritt die Anlage der Spielvereinigung durch ein hohes Tor. Oben ist auf einem Brett der Vereinsname aufgepinselt, flankiert von Bierwerbung. Viele Tore hier, denkt Stefan noch. Fragt sich nur, ob sie wo hinein- oder hinausführen.
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9 Sechs schmale Masten ragen in den Himmel und tragen je zwei starke Scheinwerfer. Kreisligaflutlicht. Stefan erinnert sich an das Gefühl, als er zum ersten Mal unter Flutlicht trainiert hat, als Kind, im Winter. Fühlte sich an wie Bundesliga, nur auf Asche. Those were the days my friend , wir dachten, die gehen nie vorbei, aber auch hier strahlt jetzt ein Kunstrasen in unveränderlichem Grün, durchsetzt mit schwarzem Granulat. Warum eigentlich das Granulat? Wieder so eine Sache, die man mal googeln sollte.
Im Hintergrund rauscht die nahe Autobahn. Links steht das einstöckige, lang gezogene Vereinsheim. Unter dem seitlichen Vordach stehen Bierzeltgarnituren. Hier sind alle Plätze besetzt, obwohl die Sonne scheint und es unter demVordach besonders heiß sein muss. Weiter hinten Bier- und Bratwurststand. Männer mit Plastikbechern voller Bier stehen herum, Frauen laufen hinter kleinen Kindern her und halten sie davon ab, aufs Spielfeld zu rennen, Jugendliche in Trikots essen Pommes aus Pappschalen.
Am Bierwagen Heinz Tenholt, Franks Vater, der Vorsitzende. Daneben Klaus Dudek, Karl-Heinz Rogowski und Dieter Mehls, der um ein paar Ecken mit Charlie verwandt ist. Die anderen stecken in Trainingsanzügen in den Vereinsfarben, Heinz
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