Sommerfest
Hinterkopf.
»Du stehst doch auf die Dicke aus dem Fernsehgarten!«
»Die ist gar nicht mehr so dick!«
»Trotzdem, da hältst du keine zehn Minuten durch. Die ist ein echter Nussknacker.«
»Hauptsache, du weißt Bescheid!«
Und wieder ist Totos Hinterkopf dran.
Toto schmollt. Diggo nimmt einen Schluck und schaut ein paar Sekunden in die Ferne, wo sich in einem parallelen Universum seine Zukunft mit einem Fernsehstar abspielt.
»Und jetzt willst du die Hütte deiner Alten loswerden. Ist ein schönes Haus.«
»Muss ’ne Menge gemacht werden.«
»Wie viel kriegst du dafür?«
»Keine Ahnung. Ich will es nur loswerden.«
Diggo schüttelt den Kopf. »Ey, sag so was nicht, sein Elternhaus will man nicht einfach nur loswerden. Entweder man wohnt selber drin und hält es in Schuss, oder man versucht, einen richtig guten Preis zu kriegen. Das ist dein Elternhaus, du Schauspieler! Du bist da groß geworden! Da hast du gesoffen, gewichst und gevögelt! Für dein Leben ist das ein Denkmal!«
»Ein Denkmal, das ich mir nicht leisten kann.«
»Wieso das denn? Das ist doch bestimmt abbezahlt und alles!«
»Ich lebe in München! Was soll ich mit einem Haus in Bochum?«
»In München lebt man nicht«, sagt Diggo, »da wohnt man nur.«
»Warst du schon mal da?«
»Bin ich bescheuert? Wenn ich die reden hör, fang ich schon an zu kotzen!«
»München«, sagt Toto, »voll die Scheiße!«
»Woher willst du das denn wissen?«, fragt Diggo.
»Hast du doch selber gesagt!«, wimmert Toto.
»Und du musst mir jeden Dreck nachlabern, oder was?«
»Aber wenn er doch stimmt, der Dreck!«
»Was? Ich rede Dreck?«
»Hast du doch selber gesagt!«
»Und du musst mir jeden Dreck nachlabern, oder was?«
Schon als Jugendlicher ging es bei Stefan los, dass er sich manchmal dachte: Was, wenn die Situation, in der ich jetzt gerade bin, niemals aufhört? Wenn mein Leben hier einfriert und für Jahrhunderte auf der Stelle tritt? Wenn ich diesen verdammten Knoten einfach nicht aufkriege? Wenn dieses Gespräch ewig weitergeht? Dieses Gefühl hat ihn vor zehn Jahren bewogen, doch endlich von hier wegzugehen, obwohl es erst so ausgesehen hat, als sei es sein Schicksal, hier festzusitzen. Schicksal, das ist das Bild zweier hässlicher Mädchen, von ihrem Vater vor Jahren hingemetzelte Zwillinge mit ernstem Blick und vorgewölbter Stirn, die auf dem Gang eines für den Winter evakuierten Hotels stehen, sich an den Händen halten und unaufhörlich sagen: »Komm, Danny, spiel mit uns! Für immer! Und immer!« Und wie schon Prince sagte: Forever is a pretty long time, und diese pretty long time kam Stefan irgendwann gar nicht mehr pretty vor, nachdem ihn ausgerechnet die Schauspielschule in seiner Geburtsstadt aufgenommen und ihm ausgerechnet das Stadttheater derselben Stadt seinen ersten Vertrag gegeben hatte. So etwas passiert normalerweise nicht. Normalerweise wird man zu Hause abgelehnt und wird dann in Berlin, München oder Stuttgart genommen, was Stefan die Entscheidung, alles hinter sich zu lassen, abgenommen hätte. Mit Entscheidungen ist es immer so eine Sache, die können einem die Luft abschnüren, solange man sie nicht getroffen hat, und als zentnerschwere Last auf den Schultern liegen, wenn man sie doch herbeigeführt hat. Dann tut es gut, neben solchen Figuren wie Diggo Decker und Toto Starek zu stehen, denn dann weiß man, dass es richtig war, wegzugehen,und absolut falsch, zurückzukommen, und deshalb muss ich jetzt hier weg, denkt Stefan, den Rest hinter mich bringen, und dann ab nach Hause, ja nach Hause, denn das ist nicht mehr hier, sondern da unten, wo man besser wohnt, als man an anderen Orten leben kann.
Bei Diggo und Toto geht es noch ein wenig hin und her, während die zwei Bäuche und der Zopf die drei Schrankteile in die Laube tragen, dann wieder herauskommen und Diggo fragen, wo genau er das Ding hinhaben will, schließlich sei da drin alles voll, und Diggo sagt, dass sei ja sein Reden, weil Toto, der Schwachmat so voreilig war, habe er, Diggo, nichts vorbereiten können, also sollen sie jetzt das alte Teil da drin zu Klump hauen, den Müll in den Kastenwagen schmeißen, damit Toto das zur Kippe bringen kann, und dann sollen sie den Schrank zusammenbauen.
Die drei gehen erneut rein, kommen aber gleich schon wieder heraus und meinen, in dem alten Schrank seien aber noch Gläser, ob sie die auch zu Klump hauen sollen, und Diggo reibt sich die Nasenwurzel wie vorhin Diddi Trainingsanzug. Schwere Zeiten für
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