Sommerflammen

dass sie weder einen Warnschrei ausstoßen noch einen Satz nach vorn machen konnte. Ein messerscharfer Ast schoss Cards, der gerade eine Schneise schlug, mitten ins Gesicht.
    Rowan ließ ihre Säge fallen und rannte auf ihn zu, während er vor Schreck und Schmerz aufschrie und die Balance verlor.
    »Wie schlimm ist es? Wie schlimm ist es?«, rief sie und packte ihren taumelnden Kollegen. Sie sah selbst, dass der Ast in seiner Wange steckte, anderthalb Zentimeter unter seinem rechten Auge. Blut lief ihm das Kinn herunter.
    »Verdammt«, stieß er mühsam hervor. »Zieh ihn raus.«
    »Warte. Warte bitte!«
    Dobie stieß zu ihnen. »Was macht ihr denn da? Meine F esse, Cards, wie hast du das bloß angestellt?«
    »Halte seine Hände fest«, befahl Rowan, während sie in ihren Rucksack griff.
    »Wie bitte?«
    »Stell dich hinter ihn und halte seine Hände fest. Ich fürchte, es wird wehtun, wenn ich das Ding rausziehe.« Sie platzierte ihre Füße links und rechts neben Cards Bei nen und zog ihren rechten Handschuh aus. Dann krallte sie die Finger um das spitze Stück Holz, das aus seiner Wange ragte. »Auf eins, zwei, drei. Wappne dich! Eins, zwei …«
    Bei zwei zerrte sie daran, sah, wie das Blut hervorschoss und sein Auge ein wenig glasig wurde. Schnell presste sie den Druckverband aus ihrem Rucksack auf die Wunde.
    »Du hast ein Riesenloch im Gesicht«, sagte sie zu Cards.
    »Du hast nicht bis drei gezählt.«
    »Ja, da muss ich wohl was vergessen haben. Dobie, drück ihm die Kompresse aufs Gesicht, auf keinen Fall nachlassen! Ich muss die Wunde säubern.«
    »Dafür haben wir keine Zeit«, widersprach Cards. »Mach einfach ein Pflaster drauf, wir kümmern uns später darum.«
    »Zwei Minuten. Lehn dich gegen Dobie!«
    Sie warf das blutige Pad beiseite, goss Wasser über die Wunde in der Hoffnung, damit winzige Splitter auszuschwemmen. »Versuch jetzt, nicht zu kreischen wie ein Mädchen«, fügte sie noch hinzu, als sie einen großen Schwall Wasserstoffperoxid hinterherschüttete.
    »Ro, verdammt! Verdammte Scheiße!«
    Erbarmungslos wartete sie, bis das Desinfektionsmittel Schmutz und Holz zutage förderte, und spülte dann mit Wasser nach. Sie bestrich eine neue Mullkompresse mit entzündungshemmender Salbe, dann noch eine und klebte beide über das murmelgroße Loch in seiner Wange.
    »Wir evakuieren dich Richtung Westen.«
    »Vergiss es! Ich packe nicht meine Sachen. Das war bloß ein dämlicher Splitter.«
    »Ja.« Dobie hielt das zehn Zentimeter lange Aststück hoch. »Aber nur, wenn du fünfzehn Meter groß bist. Ich habe ihn für dich aufgehoben.«
    »Heiliger Bimbam, das ist ja ein Geschoss! Ein Holzpflock mitten im Gesicht. Diese Saison bin ich wirklich ein Glückspilz«, sagte er angewidert und löste sich von seiner Helferin. Rowans ausgestreckte Hand lehnte er ab.
    Ich kann allein stehen.« Er schwankte kurz, fand aber sofort wieder das Gleichgewicht.
    »Nimm etwas von dem Schmerzmittel aus deinem Rucksack. Wenn du wirklich glaubst, fit zu sein, möchte ich, dass du nach Brandinseln Ausschau hältst. An der Säge arbeitest du nicht mehr, Cards. Los, zieh Leine, sonst bin ich gezwungen, deine Verletzung der Zentrale zu melden.«
    »Ich gehe nicht eher, bis der Brand gelöscht ist.«
    »Dann zieh Leine! Wenn die Pads durchgeblutet sind, lass sie von deinem Team austauschen.«
    »Ja, ja.« Er berührte das Pad. »Du tust ja gerade so, als hätte ich mir das Bein amputiert«, murmelte er, brach aber folgsam auf. Als er weit genug entfernt war, zog sie ihr Funkgerät hervor und setzte sich mit Gull in Verbindung. »Cards ist unterwegs zu dir. Er hat eine leichte Verletzung. Ich will, dass einer von euch zu mir kommt, Cards wird ihn ersetzen.«
    »Roger.«
    »Gut. Dobie, nimm die Säge. Und pass auf Holzsplitter auf. Ich will nicht noch so ein Drama erleben.«
    Das Gegenfeuer hielt stand. Es dauerte jedoch weitere zehn Stunden, bis das Feuer eingedämmt war.
    Ais Rowan zum Zeldager zurückging, schien die Sonne. Sie musste daran denken, wie sie gemeinsam mit Gull den Sonnenuntergang bewundert hatte. An die Gewehrkugeln, den blinden Hass. Sie ließ sich fallen, um etwas zu essen, und wünschte sich, etwas von der Euphorie zu spüren, die sie sonst erfasste, sobald ein Feuer besiegt war.
    Yangtree setzte sich neben sie. »Wir sollten zusehen, dass wir was in den Magen kriegen, bevor wir mit den Aufräumarbeiten beginnen. Die Zentrale hat acht Mann
    dafür vorgesehen. Da Cards in deinem Team war, musst du das