Sommerflimmern (German Edition)
Anstreicher?«
Ich schaffe es, ihn direkt und offen anzusehen, er erwidert meinen Blick. Noch mehr warmer Tee. Mit Honig.
»Ich bin ›Maler Maler‹. Darf ich mich vorstellen? Ich bin Juan.«
Er reicht mir seine rechte Hand, ich nehme sie und spüre seinen Händedruck. Ich kann es nicht leiden, wenn Leute einem die Hand geben und man das Gefühl hat, sie hätten gerade einen Schwächeanfall. Aber dieser Händedruck ist perfekt, angenehm fest, aber nicht zu fest. Wir schauen uns noch immer an. Hinter meinen Rippen stolpert und poltert es. Das muss mein Herz sein.
»Hi, ich bin Charlotte.«
»Hallo, Charlotte.«
Er lässt meine Hand los. Zum Ausgleich greife ich nach meinem Latte. Ist aber nicht halb so angenehm.
»Juan … Ein eher seltener Name.«
»Das könnte daran liegen, dass ich Spanier bin«, lächelt er mir entgegen.
»Spanier? Wirklich? Aber du sprichst akzentfrei Deutsch.«
»Meine Mutter war Deutsche. Mein Vater ist Spanier. Sie sind nach Spanien gezogen, kurz nachdem ich geboren wurde. Mit uns Kindern hat meine Mutter aber immer nur Deutsch gesprochen.«
»Und jetzt? Ich meine, wenn sie Deutsche war , ist sie jetzt Spanierin?«
»Nein. Sie ist tot.«
»Oh, entschuldige, das tut mir leid …«, sage ich entsetzt.
»Ist schon okay.«
Er stochert mit einem der Holzstäbchen in seinem Milchschaum herum.
»Ähm, und was machst du in Berlin? Ich meine, lebst du hier?«
»Nein, eigentlich lebe ich in Spanien. Ich bin vor Kurzem nach Berlin gekommen, weil mich die Stadt interessiert. Kulturell und die Geschichte natürlich … na ja, vor allem, weil meine Mutter hier mal gelebt hat. Sie hat mir viel von dieser Zeit erzählt. Ich hatte immer den Eindruck, dass sie sich manchmal danach zurückgesehnt hat. Mein Plan ist, einige der Orte aufzusuchen, die sie erwähnt hat, und sie in Bildern festzuhalten. Ein Geschenk sozusagen. Auch wenn sie es nie wirklich bekommen wird. Also eigentlich eher eine Art Hommage an sie … und ihre vielleicht glücklichste Zeit.«
Er nimmt noch einen Schluck Kaffee, streicht die längeren Strähnen seines Haars nach hinten und schaut mich an. Ich frage mich, was er sieht, erwidere seinen Blick.
»Wow. Das ist ein sehr schönes … Geschenk. Meinst du, sie war danach nicht mehr glücklich? … Sorry, geht mich ja gar nichts an.«
»Nein, nein, schon in Ordnung. Ehrlich gesagt, rede ich gerne über sie. Also um deine Frage zu beantworten, ich glaube schon, dass sie irgendwie glücklich war. Aber halt nur irgendwie . Mein Vater ist ein harter Knochen … Er ist kein schlechter Mensch und er hat sie geliebt, aber ich glaube, verstanden hat er sie nie so wirklich. Wie auch immer, ich habe ihn seit über einem Jahr nicht gesehen. Als sicher war, dass meiner Mutter nur noch maximal zwei Monate bleiben, ist er verschwunden. Von einem Tag auf den anderen, ohne Abschied.«
Ich starre ihn an, um festzustellen, ob er sich vielleicht nur einen schlechten Scherz mit mir erlaubt. Er schaut in die Ferne, seine Lippen sind zu einer schmalen Linie zusammengepresst.
»Wow.« Das ist erst mal alles, was mir zu seiner Geschichte einfällt.
Ich wage noch einen Anlauf. »Was für ein … gequirlter Mist.«
Oh nein, warum halte ich nicht einfach die Klappe, denke ich. Doch in dem Moment lacht er plötzlich laut auf. Seine Augen strahlen mich an. Oder eher die Scheinwerfer dahinter.
»Ja, ich glaube, das trifft es ziemlich gut, Charlotte.«
Charlotte. Ob ich ihn wohl bitten kann, meinen Namen noch einmal zu sagen?
»So, genug von mir. Was machst du denn hier in Berlin, Charlotte?«
Danke.
»Studierst du hier oder machst du Ferien? Wenn ich fragen darf.«
»Ich wohne hier. Ich komme aus Berlin. Und im nächsten Semester werde ich mit meinem Studium anfangen. Auch hier in Berlin.«
Plötzlich scheint es mir, als sei mein Leben weniger spannend als die Gebrauchsanweisung für einen beutellosen Staubsauger.
Ich starte prompt ein Ablenkungsmanöver.
»Was hat deine Mutter hier in Berlin eigentlich gemacht?«
»Ha, du redest wohl nicht gerne über dich, was? Ist aber in Ordnung. Ich muss eh los.«
»Ach so, klar, ja, also dann, viel Spaß, also ich meine … was auch immer du …«, stottere ich vor mich hin und beginne damit, meine Sachen einzupacken.
»Hey, was machst du denn da? Mit einer halbfertigen Zeichnung nach Hause gehen? Ein letzter Tipp von mir: Mach weiter, solange es gut läuft. Alles andere kann warten.«
Und dann nimmt er mir glatt meine Tasche aus der
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