Sommerflimmern (German Edition)
einem dicken Kloß hängen, der sich urplötzlich in meinen Hals breitgemacht hat.
»Maler? Meintest du ›wie irgend so ein dahergelaufener Maler‹?« Seine Stimme klingt sanft und überraschend nah.
Ich sehe langsam zu ihm hinüber. Er sitzt nun direkt neben mir, die Scheinwerfer in seinem Kopf strahlen auf mein Gesicht. Mir wird noch wärmer, als es eh schon ist, da legt er mir plötzlich seine Hand auf meinen Rücken.
»Charlotte, ich möchte dir was sagen. Okay?«
»Hm … Na gut.«
Er sieht über die Wiese, keine Ahnung wohin, auf den plätschernden Seehundbrunnen vielleicht. Zwischen seinen zusammengekniffenen Augen hat sich eine Falte gebildet. Mir ist fast, als hörte ich seine Gedanken als wilden Strom durch seinen Kopf rauschen. Doch dann hat er offenbar den richtigen herausgefischt. Sein Gesicht entspannt sich wieder und wendet sich mir zu.
»Also gut. Ich sage es ganz direkt. … Charlotte, du wirst die nächsten 50 Jahre damit verbringen, ein unausgefülltes, blutleeres Leben zu führen. Es wird ungefähr drei ›Höhepunkte‹ haben: Erstens deine Heirat mit jemandem, der zwar ein guter Kerl ist, aber langweiliger als ein toterKarpfen. Zweitens die Geburt deines Kindes, für das du aber nicht so viel Zeit haben wirst, wie du dir eigentlich vorgenommen hattest, was du später furchtbar bereuen wirst. Und drittens der Zeitpunkt, an dem dein Vater in den Ruhestand geht und du endlich die volle Verantwortung für das Unternehmen übernehmen kannst, das dir aber im Laufe der Jahre so zuwider geworden ist, dass du regelmäßig morgens beim Zähneputzen das Gefühl hast, dich übergeben zu müssen … Es gibt natürlich Varianten. Zum Beispiel könnte es auch sein, dass …«
Mit offenem Mund starre ich ihn an, besinne mich, springe auf, und, die Hände zu Fäusten geballt, wedle ich mit meinen Armen umher, als wolle ich einen unsichtbaren Angreifer in die Flucht schlagen.
»Was fällt dir eigentlich ein … du … du … du hast doch überhaupt keine Ahnung von meinem Leben oder … oder von Alexander … oder … oder von mir! Ich habe halt Verantwortung, jawohl, Ver-ant-wor-tung!«
Ich schnappe nach Luft, kriege aber kaum genug. Ich will ihn weiter anbrüllen, doch der Klumpen in meinem Hals ist wieder da, verhindert jedes Ein und Aus, mir wird schwindelig, ich torkle einen Ausfallschritt nach hinten, Juan springt auf, stützt mich und drückt mich sanft zurück auf die Decke, bis ich wieder sitze und er vor mir kniet, mit seinen Händen auf meinen Schultern.
»Charlotte. Hör mir zu.«
Ich öffne den Mund, doch, fast ohne ihn zu berühren,legt Juan mir seine rechte Hand darüber und hält gleichzeitig den linken Zeigefinger über seinen eigenen Mund. Er bleibt vor mir knien und sieht mich offen und direkt an.
»Hör zu. Ich werde versuchen, dir das zu erklären … Du hättest deinen Blick sehen sollen, als wir von deiner zukünftigen Arbeit gesprochen haben. Von deiner Zukunft . Ich kenne diesen Blick. Ich habe ihn über zwanzig Jahre lang gesehen. Und ich glaube – nein, ich bin mir sicher – ich weiß, was er bedeutet.«
»Was denn?«, flüstere ich.
Auch seine Stimme wird immer leiser, während er spricht.
»Er sagt: Ich gehöre nicht hier hin. Wie bin ich hierhergekommen? … Ich will hier weg.«
Jedes seiner Worte versetzt mir einen weiteren Stich in meine Magengrube. Ich schlucke, versuche, gleichmäßig zu atmen, doch es nützt nichts, Tränen schießen mir in die Augen, lassen sich nicht halten, fließen.
»Hey …«
Juan setzt sich neben mich, legt behutsam seine Arme um mich.
Für einen kurzen Augenblick spannt sich mein gesamter Körper an, doch als die Wärme seiner Haut meine erreicht, lasse ich mich an seine Schulter sinken. In meinem Kopf tanzen die Gedanken einen ungeordneten Reigen, doch einer von ihnen hat sich regungslos in die Mitte gestellt und sieht mich unverhohlen an: Er hat recht.
Und meine Wahrheit stammelt sich über einen holperigen Weg.
»Weißt du, eigentlich weiß ich gar nicht, was ich will … Aber ich … ich … mir graut es vor Bürohäusern und Bauingenieuren und Beton-Raumzellenbau und Stahlbetonkonstruktionen … und … und … und ich will auch nicht heiraten!« Meine Stimme versagt.
»Schon gut …«, flüstert Juan in mein Ohr und mir rieselt ein wohliger Schauer den Rücken hinunter. Mit einem Arm drückt Juan mich sanft an sich, fischt mit seiner freien Hand nach einer der Servietten, die ich mitgebracht habe, und
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